Das Familienunternehmen im Notfall

Für einen Notfall vorzusorgen ist eine der wichtigsten Aufgaben für Familienunternehmen. Auf was genau geachtet werden soll und welche Regelungen zwingend zu treffen sind, fassen Dr. Karin Ebel, Regine Wieland und Ursula Merckle in diesem Beitrag zusammen.

 

Zur Entwicklung einer Unternehmensstrategie gehört unabdingbar die Analyse möglicher Risiken, die zum Beispiel durch die Veränderung von Rahmenbedingungen entstehen. Vielleicht ist die letzte Überprüfung Ihrer Unternehmensstrategie noch gar nicht so lange her und Sie haben sich intensiv mit Faktoren beschäftigt, die ein Risiko für den Erfolg Ihres Produkts oder Ihrer Dienstleistung darstellen können?

Wann haben Sie aber das letzte Mal darüber nachgedacht, welche Konsequenzen es hätte, wenn Sie – zum Beispiel nach einem schweren Verkehrsunfall oder einer plötzlichen gesundheitlichen Komplikation – bewusstlos im Krankenhaus liegen und nicht absehbar ist, ob Sie je wieder handlungsfähig sein werden?

Es ist menschlich nachvollziehbar, dass wir kein Problem damit haben, über unternehmerische Risiken nachzudenken und entsprechende strategische Vorkehrungen zu treffen, dass wir der Beschäftigung mit der eigenen Verletzlichkeit und den für einen Notfall zu treffenden Vorkehrungen aber lieber aus dem Weg gehen.

Für Familienunternehmer, die Verantwortung nicht nur für die eigene Familie und das Vermögen, sondern auch für Mitarbeiter und möglicherweise weitere Stakeholder haben, hat es aber besondere Konsequenzen, wenn sie für einen Notfall nicht vorgesorgt haben.

Wir möchten Ihnen diese Konsequenzen vor Augen führen, aber gleichzeitig auch erklären, wie Sie die emotionalen Hürden überwinden, für einen Notfall vorzusorgen.

 

Im Notfall gibt es nur zwei Alternativen: Betreuungsverfahren oder Vollmacht

Kehren wir zum angedachten Szenario zurück: Nach einem schweren Schlaganfall liegen Sie im Krankenhaus. Sie sind nicht ansprechbar und können sich nicht mitteilen. Das Testament, in dem Sie alles Notwendige für Ihre Familie und das Unternehmen geregelt haben, greift in dieser Situation nicht. Deshalb stellen sich schnell grundlegende Fragen: Wer trifft Entscheidungen für das Unternehmen? Wer kümmert sich um die Verwaltung des Vermögens? Wer regelt das Notwendige für Ihre Bedürfnisse wie Pflege, Behandlung und Reha-Maßnahmen?

Wenn Sie für einen solchen Notfall keine Vorsorge getroffen haben, gibt es auf diese Fragen nur eine Antwort: Das für Ihren Wohnort zuständige Amtsgericht ordnet ein Betreuungsverfahren an.

Im Rahmen dieses Betreuungsverfahrens bestellt das Amtsgericht in der Regel den Ehepartner, einen sonstigen nahestehenden Verwandten oder einen Dritten zu Ihrem Betreuer. Ob diese Person die erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten zur Verwaltung Ihres Vermögens oder zur Fortführung Ihres Unternehmens hat, spielt für das Gericht keine wesentliche Rolle. Wenn der Betreute über ein umfangreiches Vermögen mit Unternehmensbeteiligungen verfügt, wird zusätzlich ein Kontrollbetreuer bestellt – aber nur, um sicherzustellen, dass die Regeln des Betreuungsverfahrens eingehalten werden.

Da der bestellte Betreuer – auch wenn es sich um den Ehepartner oder einen nahen Verwandten handelt – als „Sachwalter fremder Vermögensinteressen“ agiert, unterliegt er fortan der Kontrolle durch den Rechtspfleger beim Amtsgericht. Dies bedeutet, dass der Betreuer dem Rechtspfleger zeitnah eine Übersicht erstellen muss, die das vorhandene Vermögen mit den Verkehrswerten von Immobilien, Wertpapierbesitz, Einkünften, Anteilen am Unternehmen und eventuell vorhandene Verbindlichkeiten aufführt.

Darüber hinaus muss der Betreuer dem Amtsgericht Nachweise über alle Einnahmen und Ausgaben des Betreuten vorlegen. Außerdem ist der Betreuer verpflichtet, regelmäßig über die gesundheitliche Verfassung des Betreuten zu berichten und ärztliche Atteste vorzulegen. Sollten dringende Entscheidungen für das Unternehmen getroffen werden müssen, muss auch hier das Amtsgericht einbezogen werden.

Dies alles bedeutet, dass nicht nur Ihr zum Betreuer bestellter Ehepartner, ein Kind oder ein sonstiger nahestehender Mensch sich in einer emotional extrem schwierigen Situation unvorbereitet um all diese Dinge kümmern muss, sondern zusätzlich auch noch der Rechtspfleger und der Kontrollbetreuer eine vollständige Einsicht in Ihre Konto- und Depotauszüge und sonstigen Vermögensunterlagen bekommen. Außerdem verursacht das Betreuungsverfahren nicht unerhebliche Kosten, die sich nach der Größe Ihres Vermögens und dem Ausmaß der erforderlichen Tätigkeiten des Gerichts und des Kontrollbetreuers bemessen.

Wenn Sie das Betreuungsverfahren und alle damit für Sie, Ihre Familie und Ihr Unternehmen verbundenen Konsequenzen vermeiden wollen, gibt es nur eine Möglichkeit: Sie müssen eine oder mehrere Personen offiziell bevollmächtigen, im Notfall Ihre Interessen wahrzunehmen.

 

Welche Möglichkeiten zur Erteilung von Vollmachten Sie haben

Um für den Notfall Vorsorge zu treffen, haben Sie zwei Möglichkeiten: Sie können zum einen Ihrem Ehepartner, einem volljährigen Kind oder einer anderen Ihnen nahestehenden Person eine umfassende Generalvollmacht erteilen. Dies setzt voraus, dass Sie dieser Person sowohl die Entscheidungsfindung das Unternehmen betreffend, als auch alle persönlichen Entscheidungen für das Privatvermögen bis hin zu ärztlicher Versorgung überantworten wollen.

Wenn Sie keiner Person in ihrem Umfeld alle Sie persönlich sowie das Unternehmen betreffenden Entscheidungen übergeben wollen, empfiehlt es sich, verschiedenen Personen Vollmachten zu erteilen, ihren jeweiligen Kompetenzen entsprechend. Dies können zum Beispiel gesonderte Vollmachten für Entscheidungen das Unternehmen betreffend, für das sonstige Vermögen und Entscheidung zu ihrer weiteren ärztlichen Behandlung sein.

Für den persönlichen Bereich der Gesundheit kommt aufgrund der emotionalen Nähe häufig der Ehepartner in Betracht. Denkbar wäre auch, dem Partner darüber hinaus die Vollmacht für ein bestimmtes Konto zu erteilen, auf das regelmäßig Einnahmen fließen und mit welchem dann der laufende Lebensunterhalt auf jeden Fall sichergestellt ist.

Die Vollmacht für das Privatvermögen kann separat erteilt werden. So können sich eventuell der Ehepartner und die Kinder gemeinsam oder jeweils einzeln um das Immobilienvermögen, das Wertpapierdepot oder das Festgeldkonto kümmern. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass bislang erteilte Bankvollmachten bzw. Unterschriftsberechtigungen mit den Bevollmächtigten übereinstimmen.

Die Vollmacht zur Fortführung des Unternehmens sollten Sie jemandem übertragen, dem Sie diese Aufgabe wirklich zutrauen und der die Fähigkeiten hat, das Unternehmen – zumindest übergangsweise – in Ihrem Sinne weiterzuführen. Auch wenn dies ein Familienfremder ist. Außerdem sollten Sie den Umfang der Vollmacht genau definieren. Soll der Bevollmächtigte zum Beispiel im Notfall auch berechtigt sein, das Unternehmen zu veräußern?

In jedem Fall empfehlen wir eine notarielle Beurkundung der Vollmachten. Die dabei anfallenden Notarkosten sind mit Blick auf die Gebühren des Betreuungsverfahrens kein Argument mehr. Außerdem sollte die Vollmacht an einem sicheren Ort aufbewahrt werden, an dem aber der Bevollmächtigte im Bedarfsfall Zugriff darauf hat.

 

Warum handeln wir nicht?

Die Frage, ob Sie selber bestimmen möchten, wer Entscheidungen für Ihre persönliche Gesundheitsvorsorge, Ihr Vermögen und Ihr Unternehmen trifft, oder ob im Notfall ein offizielles Betreuungsverfahren mit einem ungeachtet der Kompetenzen bestellten Betreuer eingeleitet wird, dürfte nun sehr eindeutig zu beantworten sein.

Dennoch erleben wir in der Praxis immer wieder die teils fatalen Auswirkungen des Betreuungsverfahrens für Familie und Unternehmen. Und wir fragen uns, was Unternehmer davon abhält, Vorsorge zur Vermeidung eines solchen Betreuungsverfahrens zu treffen.

Zum einen treffen wir auf Unternehmer, die sich der Thematik bewusst sind und gedanklich auch schon unterschiedliche Möglichkeiten durchgespielt haben. Sie haben überlegt, ob sie ihrem Ehepartner oder den Kindern bestimmte Verantwortlichkeiten übertragen können oder welchem anderen Vertrauten sie eine Vollmacht für bestimmte Bereiche erteilen könnten.

Wenn dann Zweifel auftreten wie zum Beispiel:

  • Sind meine Kinder schon so weit; denken sie unternehmerisch genug?
  • Was passiert, wenn sie mit der Verantwortung nicht umgehen können, doch nur am Geld interessiert sind oder sich womöglich streiten?
  • Ist der Zusammenhalt in der Familie stark genug, für eine solche Ausnahmesituation?
  • Überfordere ich meinen Ehepartner mit den zu treffenden Entscheidungen?

wird als Reaktion darauf häufig lieber nichts unternommen. Die Gedanken zum Thema Notfallvorsorge werden verdrängt und man versucht, dem Thema aus dem Weg zu gehen. Es scheint zunächst einfacher, an dem Gedanken festzuhalten: „Mir passiert schon nichts, ich habe noch Zeit, alles persönlich zu übergeben.“

Andere Unternehmer dagegen haben schon fertige Entwürfe der Vollmachten, unterzeichnen sie aber nicht. Um dieses Verhalten zu erklären, lohnt ein Blick auf die psychologische Entscheidungstheorie. Danach empfinden wir negative Konsequenzen als gravierender, wenn sie durch eine aktive Handlung (Unterschrift der Vollmacht) verursacht wurden, als durch die Unterlassung (fehlende Unterschrift) einer Handlung.

Wenn der Unternehmer also befürchtet, durch eine erteilte Vollmacht einen Konflikt auszulösen, fühlt er sich für diesen „verursachten Schaden“ verantwortlich. Mögliche Komplikationen durch eine Betreuungsverfügung werden dagegen nur als „verpasster Gewinn“ interpretiert, da der Betreute keinen Einfluss mehr auf Entscheidungen nehmen kann.

Den Gedanken an die Konsequenzen eines Notfalls aus dem Weg zu gehen oder die Konsequenzen des unterlassenen Handelns eher in Kauf zu nehmen, als durch Handeln entstehende Konflikte, ist also nur allzu menschlich. Dennoch müssen Sie sich als verantwortungsbewusster Unternehmer dieser ganz persönlichen Risikoanalyse stellen und das Thema der Generalvollmacht überdenken. Vielleicht hilft es Ihnen ja, die psychologischen Hintergründe bei Ihrer Entscheidung zu berücksichtigen.

Das Ergebnis Ihres Nicht-Handelns haben wir Ihnen aufgezeigt: das Betreuungsverfahren. Und Sie wissen, wie Sie es vermeiden können: durch die Erteilung einer Vollmacht.

Wäre es nun angesichts der Konsequenzen nicht an der Zeit, Mut zu fassen und zu handeln?