Internationalen Unternehmerfamilien drohen neue Steuerbelastungen

Ein Referentenentwurf sieht eine deutliche Verschärfung der Besteuerung beim Wegzug vor. Was die Umsetzung für Unternehmerfamilien bedeuten würde fassen Dr. Karin Ebel und Dr. Maren Gräfe zusammen.

karin ebel

 

Am 10. Dezember 2019 veröffentlichte das Bundesfinanzministerium den Referentenentwurf zum Gesetz zur Umsetzung der Anti-Steuervermeidungsrichtlinie (kurz: ATAD-Umsetzungsgesetz) mit dreitägiger (!) Stellungnahmefrist für die Verbände. Anlass war eine EU-Richtlinie aus dem Jahr 2016 mit dem Ziel, Steuervermeidungspraktiken zu bekämpfen. Der vorgelegte Entwurf zur Umsetzung ins deutsche Recht schießt allerdings deutlich über das Ziel und die Vorgaben der Richtlinie hinaus. Denn er sieht vor, dass die Wegzugsbesteuerung nach § 6 AStG in Zukunft auch bei einem Wegzug innerhalb der EU und zwar ohne Stundung greifen soll.

Wegzugsbesteuerung nach § 6 AStG

Die Regelung in § 6 AStG verfolgt das Ziel, das Besteuerungsrecht Deutschlands im Hinblick auf die stillen Reserven bei Beteiligungen an Kapitalgesellschaften sicherzustellen: Das Besteuerungsrecht im Fall einer Veräußerung liegt nach internationalen Steuergrundsätzen (d.h. nach den meisten Doppelbesteuerungsabkommen) grundsätzlich bei dem Staat, in dem der veräußernde Gesellschafter steuerlich ansässig ist. Zieht ein Gesellschafter also ins Ausland, verliert Deutschland das Besteuerungsrecht. Das gleiche gilt, wenn Anteile an einer Kapitalgesellschaft im Wege eines Erbfalls oder einer Schenkung an eine im Ausland lebende Person erfolgen. Dieser Fall wird steuerlich ebenfalls als Wegzug gewertet. Deswegen ist besondere Vorsicht geboten, wenn Kinder – und damit potenzielle Gesellschafter – im Ausland leben und als Folge eines Erbfalls unmittelbar Anteile an einer deutschen Kapitalgesellschaft erben könnten.

Aufgrund des potentiellen Verlusts des Besteuerungsrecht sieht der Gesetzgeber deswegen in § 6 AStG vor, dass im Zeitpunkt des Wegzugs die stillen Reserven aufgedeckt und besteuert bzw. die Steuer zumindest „festgehalten“ wird. Erfolgt ein Wegzug innerhalb der EU/EWR (nunmehr sogar u.U. inkl. Schweiz), besteht bisher die Möglichkeit, die auf die stillen Reserven erhobene Wegzugssteuer zinslos und ohne Sicherheitsleistung zu stunden. Erst im Fall des tatsächlichen Verkaufs oder eines Wegzugs außerhalb der EU wird die vorher festgesetzte Steuer fällig und erhoben. Diese Regelung war seinerzeit als Reaktion auf erhebliche europarechtliche Bedenken des EuGH (Rechtssache Lasteyrie du Saillant) gegen eine Wegzugsbesteuerung eingeführt worden. Sie trägt den Bedürfnissen einer Unternehmerfamilie nach Mobilität und den mit einer sofortigen Besteuerung verbundenen Liquiditätsproblemen angemessen Rechnung.

Die nun geplanten Änderungen führen zu einer deutlichen Verschärfung für internationale Unternehmerfamilien: So soll die umfassende Stundungsmöglichkeit auch dann entfallen, wenn ein Wegzug oder ein grenzüberschreitender Erbfall innerhalb des Gebiets der EU stattfindet. Damit würde die Unterscheidung zwischen einem Wegzug in ein EU-Land einerseits und in ein Drittland andererseits entfallen. Für alle Fälle des Wegzugs würde es nur noch die Möglichkeit einer siebenjährigen ratierlichen Stundung geben. Damit würde der Wegzug innerhalb der EU zu einer sofortigen Liquiditätsbelastung führen. Denn der (rein fiktive) Veräußerungsgewinn wäre innerhalb von sieben Jahren mit je einem Siebtel zu versteuern, ohne dass es jemals zu einem Verkauf kommen muss!

Zudem muss eine Sicherheitsleistung erfolgen. Diese hat wohl nicht in bar zu erfolgen aber zumindest durch Hinterlegung von sonstigen Vermögensgegenständen. Die Rückkehrmöglichkeit im Rahmen des steuerlichen Wegzugs wird dagegen um zwei auf zwölf Jahre verlängert. Wichtig ist hier aber eine klare Planung und Dokumentation der Rückkehrabsicht.

Unklar bleibt, ob sich die Neuregelungen auch auf bereits gewährte Stundungen und damit auf Altfälle auswirkt.

Konsequenzen für internationale Unternehmerfamilien

Kommt der Referentenentwurf zur Umsetzung, wirkt er sich extrem nachteilig auf inhaberstrategische Entscheidungen zur Mobilität von Gesellschaftern aus. Gerade der Auf- und Ausbau von Geschäftsmodellen im Ausland kann einen (zeitweisen) Wegzug von operativ tätigen Gesellschaftern ins Ausland erfordern. Daneben kann es generell Sinn machen, die nächste Generation einmal im Ausland „schnuppern“ und Erfahrungen sammeln zu lassen. Und schließlich greift es in die Privatsphäre sämtlicher Gesellschafter ein, wenn sie ihren Wohnsitz nicht mehr frei wählen können, ohne erhebliche Steuernachteile zu erdulden.

Angesichts der sehr einschneidenden Wirkungen der geplanten Neuerung ist erstaunlich, dass die ATAD-Richtlinie in keinster Weise eine solche Anpassung der Regelungen des § 6 AStG erfordert. Der persönliche Anwendungsbereich wird durch Art. 1 der ATAD festgelegt und ist auf Körperschaften beschränkt. Eindeutig nicht erfasst sind natürliche Personen als Steuersubjekte und die Frage der Besteuerung von Veräußerungsgewinnen aus Anteilen an Kapitalgesellschaften.

Zudem ist mehr als fraglich, ob die geplante Neuregelung den europarechtlichen Vorgaben entspricht und im Einklang mit dem Grundsatz der Freizügigkeit steht. Die Stundungsmöglichkeit ist seinerzeit ja gerade aufgrund der europarechtlichen Bedenken eingeführt worden. Erst jüngst hat der EuGH bestätigt, dass eine Wegzugsbesteuerung ohne Stundungsmöglichkeit in der EU/EWR und sogar im Verhältnis zur Schweiz gegen die Freizügigkeit verstößt (Rechtssache Wächtler).

Ausblick

Wohl aufgrund des Protestes der Verbände gegen Teile des Inhalts des Referentenentwurfs aber auch der kurzen Stellungnahmefrist, wurde der Entwurf wieder zurückgezogen und nicht zum Gegenstand der Kabinettsitzung am 18. Dezember 2019 gemacht. Sicher ist aber, dass es zeitnah ein ATAD-Umsetzungsgesetz geben muss.

Es bleibt zu hoffen, dass das jetzt angestoßene Gesetzgebungsverfahren im Sinne und zugunsten von internationalen Unternehmerfamilien verläuft und auch europarechtliche Bedenken seitens des Gesetzgebers ernst genommen werden. Angesichts der erheblichen Liquiditätsbedrohung für Gesellschafter deutscher Familienunternehmen sollten diese aber vorsichtig und vorausschauend agieren, insbesondere bei einem bestehenden Hauptwohnsitz im europäischen Ausland oder einem möglichen Umzug von Gesellschaftern oder deren Angehörigen innerhalb der EU. Es wird einmal mehr deutlich, welche Steuerrisiken für internationale Unternehmerfamilien bestehen. Diese Situation wird sich möglicherweise weiter verschärfen. Aus unserer Tätigkeit mit Unternehmerfamilien wissen wir, dass eine mögliche weitere Einschränkung des persönlichen Lebensstils – zusätzlich zu dem Erfordernis eines Ehevertrages und sonstigen Regelungen – durch Vorgabe des Lebensmittelpunktes in Deutschland zu heftigen emotionalen Diskussionen innerhalb des Gesellschafterkreises führen können. Deshalb sollten alle Familienmitglieder für dieses Thema sensibilisiert werden. Außerdem sind frühzeitig alternative Modelle zu prüfen, die auch in Zukunft einen Wegzug oder einen Lebensmittelpunkt innerhalb der EU erlauben, ohne dass es zu wesentlichen Steuerzahlungen kommt.

Das gegenwärtige Gesetzesvorhaben ist ein weiteres Beispiel dafür, wie weit das Steuerrecht in persönliche Entscheidungen eingreift. Dies ist umso bedauerlicher, weil die Unternehmen immer globaler agieren – nur vom Unternehmer wird verlangt, dass er seinen Wohnsitz weiterhin in Deutschland hat. Über dieses Ergebnis sollte der Gesetzgeber unseres Erachtens noch einmal nachdenken.

 

Dr. Karin Ebel ist Partnerin der PETER MAY Family Business Consulting, Dr. Maren Gräfe ist Gründungspartnerin der Kanzlei gkn Gräfe Klümpen-Neusel.