PETER MAY: IM GESPRÄCH mit Martina Reischmann

In dieser Folge unseres Family Business Podcasts spricht unsere Partnerin Martina Reischmann mit Prof. Dr. Peter May, dem Gründer der PETER MAY Family Business Consulting. Martina Reischmann stammt selbst aus einem Familienunternehmen, Mode und Sport Reischmann aus Ravensburg.

PETER MAY: IM GESPRÄCH – Der Family Business Podcast

#2 - Prof. Dr. Peter May im Gespräch mit Martina Reischmann

 

 

Martina Reischmann ist seit Anfang 2021 Partnerin der PETER MAY Family Business Consulting und befasst sich besonders mit den Themen der Next Generation. Aus der Perspektive zweier Generationen spricht sie mit Peter May darüber, wie man Unternehmergeist weitergeben kann und wie Seniors und NxGens voneinander profitieren können. Außerdem diskutieren die beiden darüber, wie der aktuelle Wandel von Rollenmodellen und der Trend weg vom Einzelkämpfer hin zu Teamkonstellationen die Welt der Familienunternehmen verändert.

 

Folge #2


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Transkription


00:00:28

In dieser Folge unseres Family Business Podcasts spricht unsere Partnerin Martina Reischmann mit Prof. Dr. Peter May, dem Gründer der PETER MAY Family Business Consulting. Martina Reischmann stammt selbst aus einem Familienunternehmen, Mode und Sport Reischmann aus Ravensburg.

00:00:45

Lieber Peter, du kommst auch selbst aus dem Familienunternehmen, hast vor über 20 Jahren eine Beratung gegründet, ganz viel auch im Thema BWL, zu diesem Thema geforscht. Und ich bin ganz gespannt, was wir heute beide mit diesem Blick auf das Thema Unternehmertum so zu diskutieren haben. Ich möchte mal starten mit der Frage: Was macht Unternehmertum für dich aus?

00:01:08

Peter May: Unternehmertum ist wahnsinnig breit, aber es fängt erst einmal sehr eng an. Unternehmer ist für mich jeder Mensch, der in der Lage ist, sich und seine Geschicke selbst in die Hand zu nehmen, selbstbestimmt zu agieren. Und das heißt dann am Ende auch die Folgen seines Tuns, sei es als Erfolg oder sei es als Misserfolg, auch selber zu verantworten.

Es gibt den Gründer-Unternehmer, also derjenige, der anfängt und das ganze Risiko trägt. Ich habe oft so etwas schmunzelnd gesagt: Die Besonderheit dieser Gründer-Unternehmer ist, dass sie das Wort Risiko nicht buchstabieren, geschweige denn rechtschreibungsfehlerfrei aufschreiben können. Sie haben so eine ganz bestimmte Haltung. Diese Haltung ist: Wir wollen nach vorne. Wir wollen etwas schaffen. Und wenn man die Risiken betrachten würde, die dann in dem Scheitern liegen können, dann wird man wahrscheinlich nie anfangen. Diese Menschen verfügen über diese Fähigkeit, einfach nach vorne zu gehen und es zu versuchen.

Wenn das dann weitergegeben wird von Generation zu Generation, verändert sich ja auch das Unternehmertum in der Regel gleich mehrfach. Der Nachfolger, die Nachfolgerin, in der zweiten noch mehr in der dritten, vierten, fünften Generation, die haben auf einmal schon eine ganze Menge zu verlieren und die beginnen dann, das Wort Risiko schreiben zu können. Ich hoffe nur - und für die Familienunternehmen ist ganz wichtig, dass sie es halt so schreiben, dass sie nicht alle Buchstaben großschreiben und das Wort Risiko größer schreiben als das Wort Chance. Der zweite wesentliche Unterschied, der sich dann einstellt, ist meistens der, dass der Familienunternehmer nicht mehr alleine ist. Der Gründer ist in der Regel alleine und die Nachfolger sind dann in der Regel mehrere Geschwister, noch mehr Vettern und Cousins. Und plötzlich ist derjenige, der das Unternehmertum verantwortet, also die Rolle des aktiven Geschäftsführers in der Firma spielt, der ist eine andere Art von Unternehmer, weil er nicht mehr nur für die eigene Tasche wirtschaftet oder die eigene Kasse, sondern eben auch für die von anderen. Und er wird immer mehr - muss werden - zum Treuhänder über anderes Vermögen. Und es wird ganz wichtig, ob wir in der Familie dann diesen Treuhändergedanken auch tatsächlich leben können oder ob da jeder versucht, sich selber zu optimieren.

00:03:21

Martina Reischmann: Ja, jetzt hast du mehrere sehr spannende Punkte angesprochen. Was bei mir jetzt besonders hängengeblieben ist, ist dieses Thema Unternehmergeist. Du hast davon gesprochen, dass der Unternehmergeist vielleicht auch ein Stück weit aufrechterhalten werden muss.

Ich stelle es mir nicht ganz leicht vor, den Unternehmergeist von Generation zu Generation weiterzugeben, weil sich auch sehr vieles verändert. Ich sage jetzt mal, bei meinem Vater war es so, er hat das Unternehmen mit 20 Jahren übernehmen müssen von seinem Vater, weil dieser damals verstorben ist. Er hatte bis dahin das noch nicht entwickeln können.

Jetzt ist die Frage: Trotzdem ist er zu einem sehr erfolgreichen Unternehmer herangewachsen.   Was waren da eigentlich die Impulse? „Wie wird man Unternehmer?“ ist die Frage, die ich mir so ein Stück weit stelle. Und wenn ich jetzt noch ein Stück weit weitergehe, wenn unser Ziel es ist, Unternehmen vom Senior auf den Junior zu übertragen, immer wieder weiterzugeben, würde ich mir als Senior die Frage stellen: Wie kann ich diesen Unternehmergeist vielleicht bei meinen Kinder wecken? Hast du dazu eine Vorstellung?

00:04:26

Peter May: Ja, das ist gleich eine ganz schwierige Frage. Weil natürlich, je erfolgreicher die Vorgeneration war, umso mehr hinterlässt sie ihren jeweiligen Nachfolgern. Und eine der ganz wichtigen Voraussetzungen, um Unternehmer zu sein, ist ja auch - ob uns das jetzt gefällt oder nicht - dass wir anerkennen, dass die Welt da draußen ein Dschungel ist. Es wollen ja alle Erfolg haben.

Schumpeter hat das so schön beschrieben mit seinem, mit seiner Idee des kreativen Zerstörers.    Und dass ich mich nur dann als Unternehmer bewähren kann und Erfolg haben kann, wenn ich dieses Grundgesetz akzeptiere und lerne, ja besser zu sein im Wettbewerb als meine Wettbewerber und dass ich mich dafür gewaltig anstrengen muss.

Und das ist eines der zentralen Probleme in der Erziehung von Unternehmerkindern späterer Generationen. Denn anders als die Gründergeneration werden die halt nicht mit Mangel groß und freuen sich dann, wenn sie immer mehr schaffen, sondern im schlimmsten Fall lernen sie, das Geld aus der Steckdose kommt und dass man immer in 5-Sterne-Hotels wohnt und - ja -, dass man sich halt nicht so richtig anstrengen muss, um erfolgreich zu sein. Und das ist eine große Herausforderung in der Erziehung. Dafür müssen die Eltern dann sorgen, dass sie zwar auf der einen Seite die Kinder sehen, wie schön es ist, wenn man Erfolg hat, aber auf der anderen Seite, dass sie auch lernen, dass man für diesen Erfolg immer wieder neu hart arbeiten muss und sich gegen Wettbewerber durchsetzen muss. Das ist die Herausforderung.

Auf der anderen Seite gibt's aber natürlich auch eine Riesenchance.

Wenn Unternehmerkinder die Chance haben, bei ihren Eltern zu sehen, dass dieses Unternehmersein, dieses Freisein, über sich selbst bestimmen können, etwas wagen, dann auch Erfolg haben mit dem, was wir haben. Zufriedene Kunden zu produzieren, Mitarbeiter zu haben, die sich freuen, wenn sie das Gesicht des Unternehmers oder der Unternehmerin sehen. Und es gibt die Freude im Gesicht der Mutter oder des Vaters, wenn sie abends nach Hause kommen und davon berichten.

Wenn also das Erste gemacht wird, diese Freude vorgelebt und auch vorgelebt und geteilt wird mit den Kindern, wie man das macht. Ja, also wenn man das vorlebt, dann hat man schon eine gute Chance, dass dieser Unternehmergeist weitergeht. Also die Kombination aus einerseits, das Positive vorleben, auf der anderen Seite, aber den Kindern auch klarmachen: Ihr werdet im Sinne des Schumpeterschen kreativen Zerstörers nicht zu denjenigen oder nur dann nicht zu denjenigen gehören, die auf der Abwärtsspirale sind, sondern weiter aufbauen können, wenn ihr begreift: da draußen ist Wettbewerb, da draußen ist Kampf, nur die Besten gewinnen. Ich glaube, Hermann Simon, dieser berühmte Bonner Unternehmensberater, hat mal sinngemäß gesagt: Wir müssen uns Wettbewerb so ähnlich vorstellen wie ein antikes römisches Wagenrennen, bei dem in unregelmäßigen Abständen der letzte aus dem Rennen genommen wird. Und diese Logik zu akzeptieren, ja zu internalisieren, das gehört ganz deutlich mit dazu, diesen Unternehmergeist über die Generationen zu retten.

00:07:30

Martina Reischmann: Ja, ich würde deinen Punkt mit dem Thema Vorbild sein gerne noch unterstreichen. Ich sehe das genauso wie du. Ich habe das genauso erlebt. Jemanden, der voller Energie, voller Spaß, voller Visionen dieses Thema Unternehmertum vorgelebt hat.

Was ich nicht erlebt habe ist jemanden, der das in einem Rollenmodell tut, was für meine Generation – für mich als Frau – ein sinnvolles System widerspiegelt. Das heißt, ich habe sehr wohl die Motivation mitbekommen, dass es etwas Erstrebenswertes ist, Unternehmertum zu sein. Dass es uns viele Chancen, viele Möglichkeiten gibt. Gleichzeitig habe ich miterlebt, dass es einen unglaublichen Fleiß erfordert und bis hin zu, dass es eine 60-Stunden-Woche erfordert. Und das finde ich jetzt sehr spannend, was wir da tun können mit Blick auf die nächste Generation. Ich glaube, dass meine Generation gerade sehr stark dafür kämpft und dabei ist, zu überlegen: „Wie können Rollenmodelle in unserer Generation ausschauen, die auf der einen Seite den wirtschaftlichen Erfolg und die Leistung widerspiegeln und die auf der anderen Seite aber auch dem Thema Sinn, dem Thema Nachhaltigkeit, dem Thema Familie, diesen Themen einfach einen gewissen Platz und einen gewissen Stellenwert einräumen?“

00:08:57

Peter May: Das ist superspannend, weil ich in der Tat glaube, dass wir gerade in einer unglaublichen Zeitenwende stehen, alle miteinander. Was nicht nur die Art betrifft, wie wir zukünftig wirtschaften wollen, sondern auch die Art, wie wir zukünftig leben wollen, wie das Verhältnis der Generationen zueinander ist, wie das Verhältnis der verschiedenen Geschlechter zueinander ist.

Werden ganz viele Fragen neu definiert. Wenn ich jetzt mal versuche, darauf eine Antwort zu geben, dann Martina, sei mir nicht böse, dann habe ich eben so ein bisschen geschmunzelt, als du das gefragt hast, weil ich gedacht habe: Mein Gott, warum fragen die Frauen der jungen Generation noch nach solchen Modellen? Warum gehen sie nicht einfach selbstbewusst hin und nehmen sie sich? Weil ich glaube, der Ausgangspunkt unserer Diskussion, der muss sein, dass wir alle miteinander jetzt endlich anerkennen, dass Unternehmertum und die Wahrnehmung unternehmerischer Rollen, welche auch immer, kein männliches Privileg mehr sein darf.

Wenn ich mit dieser Ausgangshaltung daran gehe - dann gehe ich auch anders an die Frage ran, welche Modelle sind denn da möglich? Wir erleben ja gerade einen Trend, dass die Familienunternehmen immer häufiger überlegen, ob die ideale Rolle des obersten Familienrepräsentanten im Unternehmen eigentlich noch die des geschäftsführenden Gesellschafters oder der geschäftsführenden Gesellschafterin ist oder ob es nicht viel besser ist, diese Rolle extern zu besetzen und die oberste Familienrolle im Sinne des Aufsichtsratsvorsitzenden oder des Chairman of the Boards zu definieren. Diese Rolle, wenn wir die wählen in einem Familienunternehmen, dann kann ich daneben auch noch Kinder großziehen. Ich kann daneben auch noch meine eigene Anwaltskanzlei oder sonst was betreiben.

Jetzt sagst du: Ja aber lieber Peter, ich, ich finde das gut mit dem Aufsichtsrat. Aber ich will gar kein Aufsichtsrat werden. Ich will CEO werden. Und wie soll ich das denn mit dem, Kinderkriegen und all dem noch unter einen Hut kriegen? Zwei mögliche Rollenmodelle. Die erste ist: Warum sollen eigentlich immer die Frauen sich ums Kindergroßziehen kümmern und die Männer um den Beruf? Warum kann man – erstes Angebot – das nicht umdrehen? Also, wenn ein Paar sich zusammentut und gemeinsam die beiden zu dem Ergebnis kommen, dass die Frau lieber die 60 Stunden arbeitet und der Mann ein anderes Berufsbild prägt, dann muss das in unserer Gesellschaft endlich als normal gelten.

Ich glaube, in Zukunft, wird sich, wie ich schon gesagt habe, ja vieles ändern. Wir werden auch über Rollenteilungen nachdenken dürfen. Also ich glaub nicht, dass die Wahrnehmung der Unternehmeraufgabe eine ist, die nur von einer Person wahrgenommen werden kann und das 60 Stunden die Woche, sondern man muss sich morgen auch Unternehmer-Teams vorstellen können, die mit unterschiedlichen komplementären Fähigkeiten eine Firma führen und jeder das vielleicht nur 35 oder 40 Stunden macht, zusammen dann 70 oder 80.

Also der Übergang vom Highlander-Phänomen des bürgerlichen Zeitalters „Es kann nur einen geben“ hin zu einer teamorientierten Führungsstruktur wird uns möglicherweise da auch neue Möglichkeiten eröffnen. Und ich stelle mir ein Mann-Frau-Team als ideal vor, das beiden Beteiligten auch noch Zeit für ein Leben lässt.

Und ich wette, wenn wir beide in 20 Jahren, so ich dann überhaupt noch mit über 80 reden darf und reden kann, was zu sagen habe, wenn wir uns darüber wieder austauschen, würden wir uns wundern, wie sich die Dinge verändert haben, die wir uns heute noch gar nicht vorstellen können.

Denn ich will ehrlich sein, wenn ich zurückgehe auf die Anfänge meiner Tätigkeit – es ist mittlerweile vieles passiert, was – ich mir damals jedenfalls so nicht – vorstellen konnte.

00:12:50

Martina Reischmann: Ja, ich bin bei dir. Ich habe auch das Gefühl, aus verschiedenen Gesprächen mit Nachfolgern: Die Dinge kommen ins Rollen und werden auf den Weg gebracht. Es gibt die unterschiedlichsten Konstellationen. Es gibt Nachfolgerinnen, die gar nicht mehr am Firmensitz arbeiten, sondern die aus einer Aufsichtsratsrolle heraus von einem anderen Standort ihrer Wahl, dort, wo sie eben ihren Lebensmittelpunkt haben, in einer Aufsichtsratsrolle oder einer aktiven Gesellschafterrolle dieses Unternehmen führen und anleiten.

Es gibt spannende Teamkonstellationen. Ich kenne einen Fall, da hat der Patriarch beschlossen, es darf nur einen geben in der Nachfolge. Die Geschwister haben sich aber für sich zusammengetan und gesagt: Papa, entweder wir machen es als Team oder wir machen es nicht.

Da spielt auch dieses Thema der Verantwortung, was du vorher mal angesprochen hast, eine große Rolle. Ich glaube, dass meine Generation sich dieser Verantwortung, die dieses Familienunternehmen häufig bedeutet, auch bewusst ist. Und dass es tatsächlich sich leichter anfühlt, wenn man diese Verantwortung teilt, wenn man in einer Geschwisterkonstellation agieren kann, in der jeder seine Stärken einbringen kann. Es kann auch eine Vetternkonstellation sein. Wichtig ist dafür aber, dass die Basis geschaffen ist, dass man Übereinstimmung hat, was die Werte betrifft. Vielleicht auch in der Übereinstimmung, wo das Familienunternehmen einmal hinmöchte. Wobei ich auch glaube, dass man selbst darüber kontrovers diskutieren kann und das will man mehr auch lernen über solche Dinge zu diskutieren und eine Art Perspektivenvielfalt auch zuzulassen. Ich finde das ganz spannend.

Ich blicke eigentlich so auf meine Generation, dass wir dadurch, dass wir häufig anders ausgebildet sind, als die Senior-Generation – sprich – wir haben in vielen Städten häufig gelebt, wir haben ein oder gar zwei Studiengänge studiert. Wir haben einiges gesehen von der Welt. Viele haben mal in einem Startup gearbeitet, mal in einem Konzern gearbeitet. Man hat ganz viele verschiedene Impulse, die man jetzt in dieses Familienunternehmen mit einbringen kann. Und diese Impulse dort nutzbar zu machen, darin besteht aus meiner Sicht eine große Chance. Und wenn man sozusagen auf die nachfolgende Generation als einen Ressourcenpool, Stärkenpool ein Stück weit auch blickt und überlegt, wie man jetzt diese verschiedenen Stärken nutzbar machen kann, finde ich das eine sehr spannende und positive Perspektive an dieser Stelle.

Und dann glaube ich und das führt wieder zu diesem Thema der Rollen: Wenn ich so gearbeitet hätte, wie es mein Vater getan hat, 60 Stunden nur für dieses Unternehmen, würde ich nicht glauben, dass ich den größten Mehrwert für dieses Unternehmen leisten kann.

Ich glaube vielmehr daran, dass wenn ich mich so einrichte, beispielsweise mit einem Team aus Familienmitgliedern oder auch mit einem Team aus Externen, bei dem jeder das einbringt, was, was er am besten kann und man aber gleichzeitig einer gemeinsamen Vision folgt. Aber man hat auch noch die Zeit parallel – weiß ich nicht – an der Uni zu lehren. Oder man hat parallel Zeit, sich den familiären Themen zu stellen, die man übernehmen möchte. Ich glaube, dass das zu einem glücklicheren Gesamtbild des Lebens führt und damit auch zu einer höheren Leistungsfähigkeit wieder fürs Unternehmen. Wie siehst du das?

00:15:56

Peter May: Also ich habe dir zunächst mal mit großer Freude gerade zugehört und habe diese Vision vor mir entstehen sehen. Wenn wir das hinbekommen, was du gerade geschildert hast, dann wäre das toll für alle Beteiligten. Jetzt will ich aber ein kleines ABER machen. Ich glaube, wir kriegen es nur dann hin, wenn wir uns auch sehr bewusst machen, welches Hindernis dem Erreichen dieser Vision im Wege steht. Ich glaube, ein wesentliches Hindernis ist immer bei allen Fragen, die wir uns anschauen - am Ende kommen wir immer zurück auf die Grundsatzfrage: Mit welcher Haltung geht ihr eigentlich an dieses Thema ran? Und jetzt kann man ja fragen: Warum hat meine Generation das nicht schon gemacht? Weil wir eine ganz andere Haltung hatten.

Wir sind groß geworden und es war typisch für das bürgerlich industrielle Zeitalter mit diesem sogenannten Highlander-Phänomen: Es kann nur einen geben. Was bedeutete, dass Eltern, die das im Kopf haben, natürlich immer auch versuchen mussten, unter ihren Kindern den oder die Stärkste herauszufinden. Und dann hat man die Kinder zu Rivalen erzogen. Also die Rivalität zwischen Geschwistern, die ja eh etwas natürlich biologisch Angelegtes ist, die wurde in Familienunternehmen ja immer auf die Spitze getrieben, weil die Kinder früh erkannten, es geht um Geld, Macht und elterliche Liebe oder Anerkennung. Und da will ich jetzt der Beste und Größte sein. Und dazu muss ich zunächst mal die anderen aus dem Feld schlagen und meinen Eltern klarmachen: Ich bin derjenige, welcher.

Wenn wir diese Logik nicht brechen, wird alles das, was du eben gesagt hast, ein wunderschöner Traum sein.

00:17:36

Martina Reischmann: Ja, bin ich bei dir. Also dein Punkt mit der Erziehung von Geschwistern: Bei uns in der Familie war das Gott sei Dank anders. Meine Eltern haben früh eigentlich versucht, aus meiner Sicht diesen Teamgedanken zu fordern. Das fußt jetzt darin, dass mein jüngster Bruder sagt: Ich kann mir vorstellen, ins Familienunternehmen einzusteigen. Aber nur dann, wenn es ein starkes Team innerhalb der Familie gibt. Finde ich einen sehr interessanten Punkt. Es ist sicherlich nicht überall der Fall. Aber ich glaube, dass die jetzige Generation ja auch auf die Vorgängergeneration blickt. Man lernt ja von Generation zu Generation und auch aus Streitigkeiten in der Vorgängergeneration kann man lernen, dass es einem früh daran gelegen ist, eigentlich die Harmonie und den Zusammenhalt innerhalb der Familie zu stärken. Ich glaube auch, dass das ist das, was bei vielen Familienunternehmen dann durchaus passiert.

Und du hast vorher das Thema Veränderung noch angesprochen. Ich finde das Thema Veränderungen unglaublich spannend und meine Generation wächst mit dieser Thematik. Veränderung, immer schnellere Prozesse, Veränderung bei einem selbst, aber auch Veränderung im Unternehmen. Du hast in einem Artikel den Satz geschrieben „Früher hat ein Geschäftsmodell drei Generationen angehalten. Heutzutage wechselt sich das Geschäftsmodell manchmal bis zu dreimal innerhalb einer Generation“. Was bedeutet das eigentlich für mich als Nachfolger? Wenn ich dieses Unternehmen führen soll, was dreimal innerhalb von meiner Generation das Geschäftsmodell wechselt, dann muss ich selbst eine unglaubliche Veränderungsbereitschaft an den Tag legen.

Wenn Unternehmer früher dachten, sie holen sich das Wissen, was sie für ihr Geschäftsfeld brauchen, haben dann dieses Wissen, um dieses Unternehmen gut zu führen, auch wieder in diesem Gedanken, allein dieses Wissen zu haben, allein mit diesem Wissen, dieses Unternehmen führen zu können, steht ja meine Generation vor der Herausforderung, diese Veränderungsprozesse anzuleiten und damit auch vor der Herausforderung, ständig weiter zu lernen, sich ständig weiterzuentwickeln, sich ständig selbst zu verändern.

Und auch da wiederum glaube ich, wenn wir ein Team an Nachfolgern haben, die sich den unterschiedlichsten Aufgaben, die sich daraus ergeben, stellen, annehmen können und wir dieses Wissen sozusagen sammeln, weil Wissen ist ja heutzutage unglaublich schnell veraltet. Das heißt es geht eigentlich nicht mehr darum, mir Wissen anzueignen, was ich heute habe, sondern es geht vielmehr darum, welche Kompetenzen brauche   ich eigentlich, um sehen zu können: Was braucht dieses Unternehmen morgen? Und dann viel eher mein Netzwerk zu nutzen, um diese Kompetenzen ins Unternehmen reinzuholen. Und auch da sehe ich wieder den Teamgedanken als unglaublich wichtig. Und dann ist Team noch weiter gedacht.

Dann ist Team nicht nur meine Geschwister und ich, sondern dann ist Team, eigentlich auch mein ganzes Netzwerk.

00:20:26

Peter May: Ja, das ist ja eh ein Thema, indem ihr viel stärker seid als wir. Netzwerk, in Netzwerken leben, denken, arbeiten. Aber Martina, als ich dir gerade so zugehört habe, da hat sich bei mir im Kopf eine Frage zugespitzt, nämlich die Frage: Was ist das, was eure Generation eigentlich von unserer Generation noch lernen kann?

Oder ist es im Moment nicht fast so, wie ein guter Freund mir mal bei einer Fahrradtour gesagt hat. Da hat er so gesagt: Peter weißt du, das Schlimme ist - wir werden die erste Generation sein, wo die Kinder nicht mehr von den Eltern lernen, sondern die Eltern von den Kindern lernen müssen.

Die ganze Geschichte ist immer eine Geschichte der Veränderung. Es ist die Evolution. Und diese Evolution, die gibt's ja nicht nur in der Biologie, die gibt's eben auch im unternehmerischen Bereich.

Und dann sind wir mitten bei der Frage: „Was ist unser Geschäftsmodell als Familie?“ Trauen wir uns zu, dass wir praktisch in der Generation so schnell lernen, dass wir permanent unser Geschäftsmodell anpassen? Oder müssen wir jetzt nicht in eine größere breitere Vermögensdiversifikation gehen, weil ja, das klassische Unternehmerische so riskant geworden ist, dass man da zwar noch ein „Stake“ drin haben sollte, aber nicht mehr alle Eier in einem Korb? Und plötzlich kommen so Gedanken wie Family Office und es kommen Family Equity und es kommt Diversifikation und es kommt Zusammenarbeit mit Private Equity und und und und und, das sind ja alles wieder nur Konsequenzen des Nachdenkens von Unternehmern darüber, wie sie das Familienunternehmen, das Familienvermögen heil über die Generationen bringen. In einem Umfeld, das durch die dramatische Beschleunigung zunächst einmal wesentlich volatiler und damit auch wesentlich gefährlicher für den Fortbestand des jeweiligen Familienvermögens geworden ist.

00:22:22

Martina Reischmann: Ja, bin ich bei dir. Ich bin vorher noch bei der Frage hängengeblieben: Was kann meine Generation eigentlich von eurer Generation lernen? Ich halte das für ganz wesentlich als Nachfolger darauf zu blicken, was die Vorgängergeneration aufgebaut hat. Und ich glaube auch, dass es einen ganz hohen Stellenwert hat, das erst einmal zu verstehen und auch anzuerkennen und ein Verständnis dafür zu entwickeln. Wie konnte dieses Unternehmen diese Größe erreichen? Was waren eigentlich die Erfolgsfaktoren? Was hat dazu geführt, dass wir heute da stehen, wo wir stehen?

Und ich glaube auch, dass wenn man sich so einen Generationswechsel anschaut, dass man mit diesem Verständnis als Nachfolger die Nachfolge antreten und in dieses Unternehmen reinkommen muss. Weil was aus meiner Sicht nicht gelingen kann, ist, dass man sagt von heute auf morgen: „Es ist eine andere Zeit.“ Die Anforderungen haben sich geändert und wir machen von heute auf morgen alles anders, weil wir haben nicht nur, wir sind nicht nur Unternehmerfamilie. Wir haben eine Vielzahl an Mitarbeitern, die wir mitnehmen müssen.

Und ich glaube, für uns Nachfolger ist es ganz wichtig, da eine Balance zu entwickeln zwischen auf der einen Seite Traditionen, die wir wertschätzen, die wir erhalten möchten und auf der anderen Seite, dem Thema Dinge hinterfragen, eine Revolution einzuleiten und Dinge neu zu denken und neu zu machen. Und ja, da müssen wir schnell sein. Aber gleichzeitig müssen wir auch – ganz wichtig – die Menschen mitnehmen an dieser Stelle, die mit diesem Unternehmen verbunden sind und mit diesem Unternehmen zusammenarbeiten. Und dieses Mitnehmen von anderen auf diesen Prozess halte ich für einen ganz wichtigen Faktor.

00:24:05

Peter May: Ja, und das Letztgenannte ist wahrscheinlich sogar die größte Herausforderung. Denn die Menschen spüren, dass es Veränderungen gibt, dass nichts mehr sicher ist, dass auch das alte Versprechen des Familienunternehmens: Wir sind drei Generationen. Ihr seid auch drei Generationen, Teil der Unternehmerfamilie. Also nicht nur du wirst einen lebenslänglichen Arbeitsplatz bei uns haben, sondern deine Kinder – „Herzlich willkommen!“ Bring die in unsere Firma. Dann geht das weiter, möglichst über Generationen. Dieses Versprechen kann dir keiner mehr geben. Das spüren die Menschen auch.

Und wir müssen uns als Familienunternehmer dann wirklich immer die Frage stellen: Wie gehen wir ehrlich mit dieser Unsicherheit um? Welches Versprechen können wir heute noch abgeben? Denn dass wir mehr versprechen können als Publikumsgesellschaften und Finanzinvestoren, ist dann wieder ein Wettbewerbsvorteil. Aber wir dürfen auch nicht Dinge versprechen, die wir nachher nicht halten können, weil das die Glaubwürdigkeit zerstört.

00:25:08

Martina Reischmann: Peter, sehr spannend! Mit Blick auf die Uhr – ich hätte noch eine abschließende Frage an dich: Wenn wir jetzt in die Zukunft schauen – wo siehst du die Verantwortung meiner Generation und wo siehst du die Verantwortung deiner Generation, um dieses Zukunftsbild, was wir gerade so gemeinsam ein Stück weit entwickelt haben, voranzutreiben?

00:25:26

Peter May: Das ist natürlich eine große Frage, liebe Martina, mit der du mich jetzt wahrscheinlich auch überforderst, weil ich glaube, ich weiß das gar nicht so ganz genau. Aber ich fange mal an, eure wichtigste Verantwortung ist: Ihr müsst die Zukunft gestalten, nicht mehr wir. Und das bedeutet, dass wir, dass ihr ja die Herausforderungen, die es gibt und die Chancen, die es gibt – ich mag das Wort bekanntlich viel mehr – dass ihr die seht und dass ihr das angeht und dass ihr dabei euch auch nicht aufhalten lasst von vielen, die aus der Vergangenheit kommen und die für sich bewahren möchten und nichts preisgeben möchten.

Wir brauchen eine neue Zukunft. Wir brauchen andere Antworten in der Frage, wie wir wirtschaften, wie Unternehmertum morgen aussieht, welche soziale Verantwortung wir haben, welche ökologische Verantwortung wir haben, mit welchen Führungsmodellen wir darauf reagieren und und und und und und und. Wir haben das eben so gestreift. Das alles zu tun ist eure Verantwortung. Nehmt sie freudig an und es ist damit auch eure Verantwortung, das Thema Familienunternehmen für diese Zukunft neu zu definieren.

Was ist unsere Verantwortung? Unsere Verantwortung ist, euch ranzulassen. Erster Punkt. Also weise früh genug zu erkennen, wann die Zeit für die Staffelübergabe ist. Unsere Verantwortung ist weiterhin, euch zu erklären oder besser gesagt, nicht erklären zu wollen, dass ihr es bitte so weitermachen sollt, wie wir es gemacht haben. Weil das war jetzt 50 Jahre erfolgreich und dann wird es auch die nächsten 50 Jahre noch erfolgreich sein. Also das Loslassen und dann als drittes, euch zu begleiten mit Rat und Tat, um euch vor Fehlern zu bewahren, die in jugendlicher Hybris liegt.

Also, wenn ich mein Leben angucke, dann sag ich immer, wie ich eben schon einmal gesagt habe, habe ich heute nicht mehr die Kraft. Aber mein Gott, was hab ich alles gelernt, vor allen Dingen über mich selber. Ja, also dies zu wissen, dass ich nichts weiß, das hab ich erst ab 60 und du musst es auch gar nicht haben, weil du sonst deine Kraft verlierst. Es gibt einen schönen Satz meines Freundes, eines Freundes von mir, der mal gesagt hat: Paralyse durch Analyse, also Reflexion ist wichtig, aber zu viel Reflexion, die führt dann zum Nichtstun.

Aber wenn ich dich jetzt begleiten darf als der Ältere und der immer wieder, ohne dass ich das durch Machtmittel durchsetzen kann, dir immer wieder das Angebot mache, doch zu profitieren von Erfahrungen, die ich gemacht habe und du dir das dann aussuchen kannst, ob du das tust oder nicht. Ja, dann haben wir eine wunderschöne gemeinsame Verantwortung.

00:28:24

Martina Reischmann: Ja, das ist doch ein sehr schöner abschließender Satz, lieber Peter, das würde ich ganz genauso sehen. Und genau darauf freue ich mich auch in Zukunft, dass wir dieses Sparring generationenübergreifend in der Art aufrechterhalten. Ich danke dir ganz herzlich für das spannende Gespräch, für die vielen interessanten Impulse. Es hat viel Spaß gemacht.

00:28:42

Peter May: Liebe Martina, ich danke dir auch und ich freue mich schon auf die Fortsetzung dieses Gespräches.

00:28:46

Martina Reischmann: Vielen Dank!