Wie in großen Gesellschafterfamilien lebendige Kommunikation gelingt

Amelie Eichblatt, Partnerin der PETER MAY Family Business Consulting, spricht mit Paola Wentzler, Gesellschafterin der Freudenberg & Co. KG, über die Bedeutung von Kommunikation in großen Gesellschafterfamilien.

Porträtfoto Amelie Eichblatt und Paola Wentzler

 

Paola Wentzler arbeitet seit Anfang des Jahres als Business Development Director Europe North bei Trusted Family, einer Technologieplattform für Familienunternehmen. Als Mitglied der siebten Generation einer großen deutschen Unternehmerfamilie mit mehr als 300 Gesellschafter:innen sind ihr die Vorzüge und Herausforderungen eines Familienunternehmens bekannt. Unsere Partnerin Amelie Eichblatt spricht mit Paola Wentzler darüber, wie wichtig es ist, die Kommunikation innerhalb einer global aufgestellten Familie aufrecht zu erhalten, damit die kommenden Generationen ihre Rolle als Gesellschafter:innen aktiv wahrnehmen.

Amelie Eichblatt: Liebe Paola, Du bist Vertreterin der NextGen und Gesellschafterin des Familienunternehmens Freudenberg & Co. KG. Wie organisiert ihr Euch als Gesellschafterfamilie? Was kannst Du anderen NextGens aus Deiner Erfahrung heraus mitgeben?

Paola Wentzler: Die Rolle der Familie gibt unser Gesellschaftsvertrag vor, der sehr genaue „Spielregeln” enthält. Angesichts der Größe unserer Familie mit mehr als 300 Gesellschafter:innen haben wir in vielen Bereichen eine klassische aktienrechtliche Verfassung aber mit sehr demokratischen Momenten. So werden die Vertreter, die die Familie im Gesellschafterausschuss repräsentieren, in geheimer Wahl gewählt. Allerdings ist bei der Vielzahl unserer Gesellschafter:innen und ihrer regionalen Verteilung in vielen Ländern eine engere Organisation wie zum Beispiel über eine Family Office nicht möglich.

Für junge Gesellschafter:innen gibt es aber viele Angebote, sich gegenseitig und das Unternehmen kennenzulernen. Dazu kommen Angebote, sich mit anderen Unternehmerfamilien zu vernetzen. Am besten ist aber immer unser großes Familientreffen am Stammsitz des Unternehmens, bei dem die Großfamilie einmal im Jahr zusammenkommt.

Amelie Eichblatt: Bei einer so großen Gesellschafterfamilie wie Eurer erscheint mir die Koordination solcher Treffen und die Kommunikation untereinander sehr aufwendig und komplex. Wie macht ihr das?

Paola Wentzler: Ja, da hast Du natürlich Recht. Uns Gesellschafter:innen steht ein Team aus sechs Mitarbeitern zur Seite, die diese Treffen planen und koordinieren. Auch die gesamte Kommunikation mit allen Gesellschafter:innen läuft über diese Abteilung. Neben der klassischen Kommunikation über E-Mail und Telefon nutzen wir verschiedene Tools - je nach Information. Für die Kommunikation innerhalb der Familie verwenden wir einen geschützten Chatraum. Bisher war es allerdings schwierig, eine einheitliche Plattform zu finden.

Amelie Eichblatt: In Gesprächen mit Nachfolger:innen, die die Rolle des Family Managers in ihrem Familienunternehmen übernommen haben oder dies in Erwägung ziehen, stelle ich immer wieder fest, dass die meisten den Eindruck haben, dass die familienintern definierten Maßnahmen nicht priorisiert und konsequent umgesetzt werden. Was kannst Du anderen NextGens aus Deiner Erfahrung heraus mitgeben? Oder: Wie könnte man aus Deiner Sicht das Potential und die Wirkungskraft von Euren festgelegten Family-Governance-Maßnahmen erhöhen?

Paola Wentzler: Die langfristige Ausrichtung von Familienunternehmen hängt von engagierten Familienmitgliedern ab, die willens, fähig und bereit sind, als aktive Eigentümer und Führungskräfte einen Beitrag zu leisten. Ein entscheidender Teil der Vorbereitung auf den Generationswechsel ist ein strukturierter Ansatz, wie Sie die nächste Generation auf die Eigentümer- und Führungsrolle vorbereiten.

Potential und Wirkungskraft von Family-Governance-Maßnahmen hängt sehr wesentlich von der inneren Einstellung der Beteiligten und der Familien- und Unternehmenskultur ab. All diese Faktoren muss man daher ständig pflegen und schulen. Professionelle Anteilseigner handeln wahrscheinlich rationaler, aber man muss alle Gesellschafter:innen auch emotional binden. Ein fester Rahmen, gesetzt durch die gemeinsame Erarbeitung einer Familienverfassung und einen guten Gesellschaftsvertrag, ist unbedingt notwendig, ebenso ein sorgfältig ausformuliertes Wertegerüst, das von allen getragen wird. Hilfreich ist auch der ständige Vergleich und Austausch mit anderen Familienunternehmen.

Amelie Eichblatt: Neben Deiner Rolle als Gesellschafterin im Familienunternehmen bist Du seit Anfang 2022 im Team von Trusted Family, der Online-Plattform für Family, Board und Shareholder Governance. Was hat Edouard Thijssen und Edouard Janssen dazu bewogen, Trusted Family im Jahr 2012 zu gründen und was können wir unter der Plattform genau verstehen?

Paola Wentzler: Beide Gründer sind auch Mitglieder der nächsten Generation von Mehrgenerationen-Familienunternehmen aus Belgien, der Aliaxis-Gruppe bzw. der Solvay-Gruppe. Sie haben sich auf einer Konferenz für Familienunternehmen kennengelernt und stellten dann anhand ihrer eigenen Erfahrungen fest, dass die Komplexität jeder Unternehmensfamilie über die Generationen hinweg zunimmt:

  1. Die Familie wird größer.
  2. Die Familie verteilt sich auf verschiedene Städte/Länder
  3. Die Familienmitglieder haben unterschiedliche Eigentumsanteile

Die zunehmende Komplexität macht es schwieriger, die Entscheidungsfindung zu skalieren, alle Beteiligten an einen Tisch zu bringen und für das Unternehmen und die Familie zu begeistern, die nicht aktiven Familienmitglieder zu informieren und die Familie zusammenzuhalten. 

Gemeinsam haben sie dann eine Online-Plattform zur Verbesserung der Unternehmensführung und Kommunikation entwickelt – zunächst für ihre eigenen Familien. Doch schnell zeigten auch andere Familienunternehmen Interesse.

Amelie Eichblatt: Das „Einfallstor“ für solche digitalen Tools in Gesellschafterfamilien ist maßgeblich die nächste Generation. Was zeichnet diese Generation aus Deiner Sicht aus? Ab welcher Größe (Gesellschafterkreis) ist ein solches Tool hilfreich? Und was kann unternommen werden, um die Akzeptanz und Anwendung einer solchen Plattform bei den Nutzer:innen zu steigern?

Paola Wentzler: Die nächste Generation zeichnet vor allem ihre Internationalität und der Wunsch aus, mobil und selbstbestimmt arbeiten zu können und informiert zu sein. Dabei vergisst die NextGen allerdings nicht ihre Familienwerte und -traditionen. Alle wissen um die Verantwortung, die damit einhergeht, Teil eines Familienunternehmens zu sein und wollen die Zukunft mitgestalten – gerade was die Themen Nachhaltigkeit, Klimaschutz, Gleichberechtigung und faire Arbeitsbedingungen betrifft.

Grundsätzlich kann die Plattform bereits bei einem sehr kleinen Familienkreis ab fünf Familienmitgliedern genutzt werden. Es geht hier ja nicht nur um die Kommunikation innerhalb der Familie, sondern auch um die Zusammenarbeit mit allen Stakeholdern. Wenn wir uns aber gerade die NextGen näher anschauen, dann ist die Plattform ein sehr gutes Mittel um jeden Gesellschafter und jedes Familienmitglied, egal wo er oder sie sich gerade befindet, auf dem Laufenden zu halten. Dank unserer App hat man auch mobil immer Zugriff auf die gesamte Kommunikation mit allen Daten und schafft so Transparenz. Die Plattform kann allerdings nur so gut sein, wie der Inhalt, der ihr zugeführt wird. Sprich, es ist wichtig, dass es jemanden gibt, der die Plattform mit Beiträgen füllt und sie dadurch zum Leben erweckt. Das kann ein Mitarbeiter sein, der sich bereits jetzt um die Kommunikation mit den Familienmitgliedern kümmert oder jemand aus der Familie heraus.

Von Seiten Trusted Family steht jeder Familie aber auch immer ein Ansprechpartner zur Seite – bei uns sind das die Client Success Manager. Die helfen bei der individuellen Gestaltung der Plattform und beim Erstellen der ersten Inhalte und sind immer ansprechbar, wenn es um Fragen geht, schnell Lösungen gefunden werden müssen oder Probleme auftreten. Bei der Einführung der Plattform sind wir auch gerne vor Ort und unterstützen so den Start sehr persönlich und können Fragen oder anfängliche Probleme direkt beheben. Da wir bei Trusted Family ein sehr internationales Team sind – viele sind selbst auch Teil von Unternehmerfamilien – können wir unsere Familien sehr individuell und persönlich betreuen.

Amelie Eichblatt: Wir begleiten viele Inhaberfamilien bei der Erarbeitung von Inhaber-Strategien und Familienverfassungen. Doch diese sind nur so gut wie ihre konsequente und nachhaltige Umsetzung und die ehrliche Verpflichtung der Inhaberfamilie. Grundlegend ist meines Erachtens das ehrliche und langfristige Commitment der Familie zu den erarbeiteten Inhalten der Familienverfassung und zu den sich anschließenden Family-Governance-Maßnahmen. Wie kann eine Online-Governance-Plattform wie die von Trusted Family dabei unterstützen?

Paola Wentzler: Meiner Erfahrung nach sind die meisten Familienunternehmen nicht sehr fortschrittlich, was den Einsatz von Technologien zur Unterstützung der Kommunikation und Entscheidungsfindung angeht. Die Kommunikationstechnologie hat sich in den letzten zehn Jahren stark weiterentwickelt. Messaging-Apps, Online-Cloud-Speicher und die gemeinsame Nutzung von Dokumenten können, wenn sie richtig eingesetzt werden, Unternehmerfamilien dabei helfen, in Verbindung zu bleiben und über ihr Familienunternehmen informiert zu sein.

Plattformen wie Trusted Family haben diese Technologien mit dem einzigen Ziel integriert, die Kommunikationsprobleme von Familienunternehmen und Family Offices zu lösen. Die Anwendung von digitalen Tools kann sicherstellen, dass der Informationsaustausch nach den verschiedenen Interessengruppen segmentiert ist, und bieten Familienmitgliedern die Möglichkeit, sich zu vernetzen und zur Entscheidungsfindung beizutragen, wenn sie ein Mitspracherecht haben sollten.

Amelie Eichblatt: Zum Schluss würde mich noch Eure Vision für Trusted Family interessieren.

Paola Wentzler: Aus meiner Sicht ist es unser Ziel, Trusted Family zur weltweit führenden Plattform für Family Governance von Unternehmerfamilien jeder Größe zu entwickeln. Familienunternehmen spielen eine wichtige Rolle in der Weltwirtschaft und die Entscheidungen, die Vorstände, Gesellschafter und die dahinterstehenden Familienmitglieder treffen, haben einen großen Einfluss auf die Welt, in der wir leben! Unsere Vision ist es, Familien dabei zu helfen, gute Entscheidungen zu treffen und über Generationen hinweg zusammenzuhalten und erfolgreich zu bleiben!

Amelie Eichblatt: Ich danke Dir sehr herzlich für das Gespräch und wünsche Dir weiterhin alles Gute für die nächsten Schritte bei Trusted Family und in Deiner Gesellschafterfamilie!