Die besondere Rolle des Beiratsvorsitzenden

Nur wenn der Beiratsvorsitzende seiner so wichtigen Rolle wirklich gerecht wird, können Beiräte ihre volle Wirkung entfalten. Dazu braucht es weit mehr als die bloße Führung und Protokollierung der Sitzungen. Ein Beitrag von Gerold Rieder, Geschäftsführer der PETER MAY Board Services.

Gerold Rieder


In unserer täglichen Arbeit mit Familienunternehmen treffen wir auf unterschiedliche Sichtweisen und Handhabungen, was die Rolle und Wirkungsweise eines Beiratsvorsitzenden betrifft.

(Der besseren Lesbarkeit wegen spreche ich hier und im Folgenden in der vereinfachten Form. Gemeint sind natürlich Damen und Herren Vorsitzende gleichermaßen, Inhaber:innen, Gesellschafter:innen, Unternehmer:innen.)

Konkret beobachten wir folgende durchaus typische Situationen:

Fall A: Der Senior (68) wechselt nach 30 Jahren höchst erfolgreicher unternehmerischer Führung in den Beiratsvorsitz, die Tochter (38) übernimmt seine Rolle als CEO. Er behält sein Büro, ist jeden Tag weiterhin in der Firma, hat ein offenes Ohr für alle Mitarbeiterthemen, und führt das Unternehmen de facto so wie bisher.

Fall B: Der Geschäftsführende Gesellschafter und CEO gibt die Agenda für die Beiratssitzung vor, er leitet die Sitzungen des kontrollierenden (!) Beirates in Wahrheit selbst, die Rolle des Beiratsvorsitzenden ist auf die Einladung zur Sitzung und das anschließende Protokoll beschränkt.

Fall C: Das Unternehmen gerät in eine signifikante Krise. Eine Vorbereitung dafür gibt es nicht. Die Geschäftsführung ist in Wahrheit überfordert, die Beiratsmitglieder führen unabgestimmt die einen und anderen Gespräche mit den Geschäftsführern, der Vorsitzende tritt als solcher nicht in Erscheinung.

Wahre Beobachtungen, nicht fiktiv. Fälle, die sich allesamt nicht zielführend anfühlen.

Über die Rolle und Aufgaben von Beiräten und Aufsichtsräten in Familienunternehmen wird und wurde schon viel geschrieben. Zu kurz kommt dabei die so entscheidende Rolle des Beirats- bzw. Aufsichtsratsvorsitzenden. Selbst ChatGPT findet dazu keine brauchbaren Anhaltspunkte.

Wird der Vorsitz professionell und umsichtig in alle Richtungen ausgefüllt, kann das Gremium Welten bewegen. Umgekehrt aber nutzen die besten Rahmenbedingungen und die wertvollsten Mitglieder wenig, wenn der Vorsitzende seine Rolle nicht ausfüllt. Er ist der Dreh- und Angelpunkt, mit ihm steht und fällt der Wert der Beiratsarbeit.

Wie aber sollte der Vorsitzende seine Rolle leben? Auch hierzu gibt es kein Patentrezept, aber sicherlich erfolgreiche Musterbeispiele in der Praxis, von denen sich lernen lässt. Die folgenden Erkenntnisse beziehen sich auf entscheidende bzw. kontrollierende Gremien, weil die Frage eines starken oder weniger starken Vorsitzenden in rein beratenden Gremien etwas weniger stark ins Gewicht fällt.

 

Allgemeine Aufgaben des Vorsitzenden

Zu den grundsätzlichen Aufgaben gehören die Einladung zur Sitzung, die Erstellung der Agenda, die Leitung der Sitzung und die Protokollierung.

Die Agenda und Themensetzung ist dabei ein Thema für sich: Wir beobachten erfreulicherweise eine starke Tendenz in der Beiratspraxis, die Gewichtung der Besprechungsthemen in den Meetings von reiner Vergangenheitsschau hin zu den Zukunftsfragen und denjenigen Themen zu verschieben, die eben noch nicht ordentlich funktionieren, hin zu den Herausforderungen, denen das Unternehmen rechtzeitig begegnen muss. Erst dann wird Beiratsarbeit richtig wertschaffend, und erst dann beginnt sie, allen Beteiligten auch Freude zu machen und wirkt wechselseitig bereichernd – wenngleich eine so verstandene Beiratsarbeit freilich immer anspruchsvoller wird. Der Vorsitzende kann und muss dafür sorgen, dass die richtigen Themen auf die Agenda kommen, sich alle in geeigneter Form einbringen können und es wirklich zur Sache geht. Er treibt die Agenda – in Abstimmung mit dem CEO –, nicht der CEO setzt die Agenda.

Darüber hinaus fallen dem Vorsitzenden weitere wichtige Aufgaben zu. Dazu gehört der regelmäßige Austausch mit dem CEO auch zwischen den Sitzungen, um das Momentum auch zwischen den On-Site-Meetings zu halten. Jour Fixes im 4- bzw. manchmal auch 2-wöchigen Rhythmus sind hier durchaus üblich. Zu seinen persönlichen Aufgaben gehören aber auch die Vertrags- und Vergütungsverhandlungen mit der Geschäftsführung im Namen der Inhaber sowie regelmäßige Zielvereinbarungs- und -erreichungsgespräche.

Der Vorsitzende ist außerdem dafür verantwortlich, das Berichtswesen seitens der Geschäftsführung an den Beirat in geeigneter Form und Regelmäßigkeit von der Geschäftsführung einzufordern. Wir sehen viele Fälle, in denen ein für die Zwecke des Beirats nur unzureichend aufbereitetes Reporting als Grundlage genutzt wird. Ohne verlässliche und vor allem die richtigen Kennzahlen können Diskussionen allerdings nicht sachdienlich geführt werden. 

Und schließlich – ohne seine Aufgaben hier vollumfänglich auflisten zu wollen – soll auch die regelmäßige Selbstevaluation des Gremiums insgesamt zu seinen Aufgaben gehören. Professionelle Gremien diskutieren zumindest einmal im Jahr untereinander, ob ihre Arbeit wirklich wertschaffend war und immer noch ist, ob sie die Geschäftsführung wirklich weiterbringen, welche Kompetenzen im Gremium ggfs. fehlen, und was das ggfs. für jeden Einzelnen im Gremium heißen mag. Selbstkritisch, klar und schonungslos. Der Vorsitzende wiederum sollte die Ergebnisse und Schlussfolgerungen mit der Inhaberfamilie teilen, wenn er seine Arbeit wirklich richtig und zukunftsorientiert macht.

 

Der Vorsitzende als Moderator und Bindeglied

Gerade im Aufsichtsrat oder Beirat eines Familienunternehmens fällt dem Gremium eine wichtige Bindegliedfunktion zu, die an allererster Stelle am Vorsitzenden in Person liegt:

  • Er sorgt für die regelmäßige Information der Gesellschafter über das laufende Geschäft und die aktuellen Themen – bzw. informiert sie selbst -, oftmals indem er an den Gesellschaftersitzungen teilnimmt und Bericht über wichtige Ergebnisse der Beiratsarbeit erstattet.
  • Er moderiert im Spannungsfeld zwischen im Unternehmen aktiven und nicht aktiven Gesellschaftern.
  • Er stellt sicher und moderiert bei Bedarf, dass die Geschäftsführung als Team funktioniert, unter Berücksichtigung der besonderen Dynamiken bei gemischten Geschäftsführungen bestehend aus Inhabern und familienexternen Geschäftsführern.

 

Die Rolle des Vorsitzenden in der Nachfolge

Eine besondere Rolle kommt dem Vorsitzenden im Generationswechsel zu. Hier übernimmt er oftmals den so wichtigen Ausgleich zwischen den Generationen und deren oft widerstrebenden Sichtweisen. Er ist es, der darauf achten muss, dass die zwischen Senior und Junior vereinbarten Spielregeln eingehalten werden. Im Zweifel fällt ihm allein die Aufgabe und das Recht zu, dem Senior ein ehrliches Feedback zu geben, wenn er seine Rolle nicht einhält. Und umgekehrt natürlich auch den Junior dabei zu begleiten, in seine Rolle hineinzufinden.

Die Aufgabe der grundsätzlichen Heranführung der Next Gen an das Familienunternehmen bereits vor Antritt einer operativen Tätigkeit wird oftmals ebenfalls dem Beiratsvorsitzenden übertragen.

Manche Familien gehen sogar noch weiter und übertragen die Entscheidung für die Eignung von Familienmitgliedern für eine operative Rolle dem Beirat, um diese zu objektivieren. Diese Aufgabe erfordert vom Beiratsvorsitzenden neben aller fachlichen Kompetenz sehr viel Fingerspitzengefühl, ausgeprägte Leadership Skills und eine sorgsame Kommunikationsfähigkeit.

 

Die Rolle des Vorsitzenden in der Krise

In der Krise zeigt sich nicht nur, ob die Geschäftsführung funktioniert und die Kurve schafft – auch der Beirat erhält dann seine wahre Bewährungsprobe. Mehr noch als in ruhigeren Zeiten kommt es dann darauf an, dass der Vorsitzende alle Fäden in der Hand hält und in alle Richtungen souverän und unterstützend wirkt. Die operative Bewältigung der Krise liegt selbstverständlich auch hier beim Management. Sparring und Kontrolle jedoch ist dann vermehrt vom Beirat bzw. Aufsichtsrat gefordert:

Der Vorsitzende sorgt dafür, dass jedes Beiratsmitglied je nach Fachrichtung und Erfahrung seinen konkreten Beitrag leistet. Nicht jeder spricht mit jedem, sondern jeder kommuniziert auf einer vorbesprochenen Schiene. Und der Vorsitzende selbst wird in sehr viel engeren Abständen in permanenter Kommunikation mit dem CEO nach Art einer Checkliste sicherstellen, dass an alles gedacht ist. Er wird den Fahrplan des Managements mitverfolgen, die Fortschritte überprüfen und Korrekturen einfordern. Und gleichzeitig im engen Austausch mit seinen Beiratskollegen bleiben. Heißt: Ein Beiratsvorsitzender sollte von vornherein ausreichend zeitlichen Puffer für sich einplanen, um sich in besonders schwierigen Situationen über das übliche Maß hinaus engagieren zu können.

Womit wir bei der Krisen-Prophylaxe wären. Der versierte Beiratsvorsitzende Reiner Strecker (Vorsitzender der Beiräte von Eckes Granini, Carl Kühne u.a.) brachte das jüngst bei einem unserer Beiräte-Roundtables folgendermaßen auf den Punkt: „Der Vorsitzende des Beirates muss für mögliche denkbare Krisen ein Krisenszenario parat haben bzw. dieses mit der Geschäftsführung bzw. dem CEO rechtzeitig erarbeiten, um für den Notfall gewappnet zu sein und seine Aufgabe dann umfänglich und professionell wahrnehmen zu können. Um sicherzustellen, dass die Rollen der Beteiligten klar und das Zusammenwirken vorgezeichnet sind.“

 

Persönliche Anforderungen an den Vorsitzenden

Entsprechend hoch sollten die Anforderungen an einen Beiratsvorsitzenden sein – was seine fachlichen Erfahrungen, vor allem aber auch seine Persönlichkeit und persönlichen Fähigkeiten betrifft. Eine gewisse Lebenserfahrung kann hierbei sicher nicht schaden, Führungsqualitäten, Menschenkenntnis und eine herzliche Härte. Und wie gesagt sollte man den Zeitaufwand nicht unterschätzen, der mit einer ordentlich wahrgenommenen Vorsitzertätigkeit verbunden ist.

 

Die Vergütungsfrage

Bei der Vergütung von Beiräten insgesamt scheiden sich in der Praxis die Geister. Manche wenige Inhaber betrachten Beiratsarbeit immer noch wie Ehrenämter und honorieren mehr oder weniger den Kostenaufwand ihrer Beiräte. Die meisten aber verlangen nicht nur viel, sondern honorieren die Arbeit ihrer Beiräte auch ordentlich, wobei die Größenordnung der Entlohnung nach unterschiedlichen Herangehensweisen und Mustern erfolgt. Aber das soll hier nicht das Thema sein.

Vorsitzende erhalten für ihren nicht nur zeitlichen Mehraufwand in aller Regel das 1,5 bis 2-fache Salär der einfachen Mitglieder, manchmal auch mehr. Hierzu gibt es weitgehend Einigkeit in der Praxis.

Heißt zusammengefasst: Beiratsarbeit an sich wird immer intensiver und anspruchsvoller, steigt umgekehrt aber auch in der Wertschätzung seitens der Inhaber. Und wird so auch von den Beirätinnen und Beiräten selbst als sinnstiftend und lehrreich empfunden.

Die Rolle des Vorsitzenden ist dabei eine ganz Besondere, mit erhöhten Anforderungen an fachliche und persönliche Fähigkeiten sowie den erforderlichen Zeitaufwand. Eine entsprechend anspruchsvolle Aufgabe der Inhaber ist es, den oder die richtige Vorsitzende für ihr Gremium zu finden.

 

 

Gerold Rieder (G.RIEDER@PETERMAY-FBA.COM) verantwortet als Geschäftsführer die PETER MAY Family Business Academy & Board Services GmbH & Co. KG. Bereits Ende der 90er Jahre begann er zusammen mit Peter May für Inhaberfamilien zu arbeiten. Seine Kompetenz und Leidenschaft liegt in der Professionalisierung und Besetzung von Beiräten, Aufsichtsräten und Verwaltungsräten auf der Basis seines über die Zeit gewachsenen und permanent gepflegten persönlichen Netzwerkes von Unternehmer:innen und Geschäftsführer:innen, deren Bereitschaft für Beiratsaufgaben ihm bekannt sind.