Ein paar persönliche Anmerkungen zum Thema Erbschaftsteuer

Prof. Dr. Peter May bezieht Stellung zum Dauerbrenner-Thema Erbschaftsteuer, bei dem Familienunternehmer so emotional reagieren, wie in kaum einem anderen Bereich.

Peter May

 

Gerade jetzt ist das Thema Erbschaftsteuer wieder brandaktuell: Das Bundesverfassungsgericht muss erneut über die Verfassungsmäßigkeit entscheiden und die CDU hat einen vielbeachteten Vorschlag für eine grundlegende Reform vorgelegt, für die sie Unterstützung von Ifo-Chef Clemens Fuest gefunden hat. Keine Frage: Das Thema ist komplex und weltanschaulich belegt; ein klares Richtig oder Falsch kann es nicht geben, es hängt vieles von der ideologischen Perspektive ab. Mit den nachfolgenden Anmerkungen möchte ich einen Beitrag zur Diskussion leisten, sie geben deshalb notwendig meine persönliche Sicht auf die Dinge wieder.

  1. Steuern sind ein notwendiger Beitrag des Einzelnen zur Gemeinschaft. Sie sind die wichtigste Einnahmequelle des Staates und gewissermaßen die Gegenleistung für all das, was der Staat für seine Bürgerinnen und Bürger leistet. Aus dieser Tatsache folgt, dass wir nicht einerseits staatliche Dysfunktionalität beklagen, andererseits aber Steuern als Wegelagerei brandmarken können.
  2. Unser Widerwillen gegen das Steuerzahlen lässt sich auch nicht mit dem oft zu hörenden Argument begründen, der Staat gebe das Geld für die falschen Dinge aus. Wofür und wieviel der Staat ausgibt, ist eine Entscheidung des Souveräns und dieser Souverän ist in einer Demokratie das vom Volk gewählte Parlament. Dessen Entscheidungen sind für uns verbindlich; wenn sie uns nicht gefallen, müssen wir für andere parlamentarische Mehrheiten streiten. Wer die Demokratie bejaht, kommt am Respekt vor den Entscheidungen des Souveräns nicht vorbei.
  3. Häufig wird vorgetragen, die Erbschaftsteuer sei ungerechtfertigt, weil das vererbte oder verschenkte Vermögen ja bereits einmal durch Einkommensteuer besteuert sei. Eine Doppelbesteuerung des Erarbeiteten sei ungerecht. Wer so argumentiert, verkennt, dass die Erbschaftsteuer einen wichtigen Beitrag zur sozialen Gerechtigkeit leisten will. Indem sie beim Vermögensübergang einen Teil abschöpft, entzieht sie den Erben und Beschenkten leistungslos erworbenes Vermögen und Einkommen und wirkt damit einer meritokratisch nur schwer begründbaren wachsenden Ungleichheit entgegen. Eine gute und gerechte Erbschaftsteuer ist ein Beitrag zum sozialen Frieden.
  4. Bei ihrer Ausgestaltung sind der Gestaltungsmacht des Gesetzgebers rechtlich nur sehr grobe Beurteilungsgrenzen gesetzt: In Art. 14 GG heißt es zwar einerseits: „Eigentum und Erbrecht werden gewährleistet.“, aber auch: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch muss zugleich dem Wohl der Allgemeinheit dienen.“ Zwischen diesen beiden Polen besteht ein großer Spielraum für von der Verfassung gedeckte Gestaltungen. Eine weitere Grenze ergibt sich aus dem Ungleichbehandlungsverbot des Art. 3 GG. Der Gesetzgeber darf gleiche Sachverhalte nicht willkürlich ungleich behandeln. Er darf weder rechtsgrundlos einzelne Gruppen bevorzugen noch andere benachteiligen. Dass das Bundesverfassungsgericht die Vorgängerregelung des geltenden Erbschaftsteuerrechts, die Unternehmensübertragungen im Gegensatz zu anderen Vermögensübertragungen quasi zum Nulltarif ermöglichte, wegen verfassungswidriger Bevorzugung von Unternehmenserben kassieren musste, war nicht nur rechtlich, sondern auch moralisch eine Katastrophe.
  5. Aus dem Ziel, die Akkumulation von leistungslos erworbenem Vermögen in den Händen weniger Erben (Warren Buffets „Lucky Sperm Club“) zu vermeiden, ergibt sich auch die Berechtigung und Richtigkeit einer progressiven Erbschaftsteuerbelastung. Große Vermögen können und sollen in der Spitze stärker belastet werden als kleine.
  6. Andererseits muss die Erbschaftsteuer so ausgerichtet werden, dass sie die Bildung von Wohlstand für alle nicht abwürgt. Deutschlands Wohlstand beruht auf einem starken unternehmerischen Mittelstand. Eine Erbschaftsteuer, die zu Unternehmensverkäufen und Auswanderung von Unternehmern führt, mag rechtlich unbedenklich sein. Aus einer volkswirtschaftlichen Perspektive ist sie unklug. Gleichheit in Armut ist kein sinnvolles Ziel.
  7. Bei einer Neuregelung der Erbschaftsteuer sollte dringend beachtet werden, was sich in der bisherigen Gesetzgebung leider nicht niederschlägt: Ein gutes (Erbschaft)Steuerrecht ist einfach, klar und fair. Komplizierte Regelung führen nahezu automatisch zu legalen Umgehungen, die oft genug das Verfassungspostulat der Gleichbehandlung verletzen, in jedem Fall aber das Vertrauen der Bevölkerung in die Fairness des Rechts untergraben. Das derzeitige Steuerrecht leidet an dieser Krankheit noch mehr als die Vorgängerregelung. Das aktuell gültige Erbschaftsteuerrecht erfüllt die vorstehenden Voraussetzungen nicht und ist zudem höchstwahrscheinlich in Teilen erneut verfassungswidrig. Durch seine komplizierte und lückenhafte Gestaltung verlegt es unternehmerische Gestaltungskraft von der Marktbearbeitung auf die Steuervermeidung und schwächt so die Wirtschaftskraft unseres Landes. Zusätzlich führt es zu Ungleichbehandlungen, die niemand verstehen und akzeptieren kann. Es ist wahrscheinlich eine der schlimmsten gesetzgeberischen Fehlleistungen der Nachkriegszeit und gehört dringend überarbeitet.
  8. Die notwendige Überarbeitung sollte sich an folgenden Prämissen ausrichten:
  • Gleichbehandlung durch gleiche Besteuerungs- und Bewertungsprinzipien für alle Vermögensklassen und Streichung aller Sonderregelungen, Privilegien und Ausnahmetatbestände.
  • Berücksichtigung des Akkumulationsproblems durch eine einfache und nachvollziehbare Steuerprogression
  • Schutz von unternehmerischem und anderem gemeinnützlichem Vermögen durch großzügige Stundungsregelungen und/oder Zulassung erbschaftsteuerbefreiter Gestaltungen, wenn die Anteile künftig dem „Wohl der Allgemeinheit dienen“ (Art. 14 GG). Hierhin gehört für mich zum Beispiel auch die Übertragung von Unternehmensanteilen auf sich selbst gehörende „Gesellschaften mit gebundenem Vermögen“. Vielleicht sollten wir aber noch einen Schritt mutiger sein. Deutschlands Wohlstand beruht nicht auf Bodenschätzen, sondern auf der Leistungskraft seiner Unternehmer. Wie wäre es, wenn wir diesen Unternehmern die Chance einräumen würden, einen gewissen Prozentsatz auf einen Deutschlandfonds zu übertragen und sich dadurch dauerhaft von der Erbschaftsteuer freizukaufen. Ein solcher Fond hätte keine Mitspracherechte (würde die unternehmerische Freiheit also nicht tangieren), wäre aber wie die Familiengesellschafter am Ergebnis und an der Wertentwicklung beteiligt. Damit wäre allen geholfen: den Unternehmern, weil sie keine Mittelabflüsse bei Erbfällen oder Schenkungen mehr verkraften müssten, den Unternehmerfamilien, weil sie sich nicht mehr um Steuervermeidung, sondern um ihr Geschäft kümmern könnten, und der Gemeinschaft, weil über den Deutschlandfonds alle regelmäßig und dauerhaft an der Wirtschaft des Landes partizipieren würden. Wenn das Geld dann noch richtig verwendet würde, um Bildung und Unternehmertum zu fördern, könnte eine echte Win-Win-Situation entstehen. Ich finde, es wird Zeit, dass wir kreativ werden und darüber nachdenken, wie wir Unternehmertum und Gemeinwohlinteressen besser miteinander verbinden. 

Die Umsetzung dieser Prämissen in ein sinnvolles und gerechtes Gesetz, das breite Akzeptanz findet, ist gewiss kein einfaches Unterfangen. Aber zum Wohle aller hoffe ich sehr, dass sie nicht zu lange auf sich warten lässt.