Österreich-Spezial: Die Familienverfassung für die Unternehmerfamilie

Über den Nutzen, den die Erarbeitung einer Familienverfassung für die Inhaberfamilie bringen kann, berichtet Elias Resinger, Partner Österreich der PETER MAY Family Business Consulting.

Familienverfassung

 

In Österreichs Wirtschaft spielen Familienunternehmen eine entscheidende Rolle. Je nach Definition sind bis zu 87 Prozent aller Unternehmen Familienunternehmen, von denen ein beachtlicher Teil in den nächsten Jahren an die nächste Generation übergeben werden soll. Tatsächlich schaffen aber nur ein Drittel davon den erfolgreichen Generationswechsel.

Ein wesentlicher Aspekt dafür ist, dass hier verschiedene Sphären – die der Familie und die des Unternehmens – aufeinandertreffen, was potenziell zu Spannungen führen kann. Für den generationenübergreifenden Erfolg des Unternehmens ist es von großer Bedeutung, dass Familie und Unternehmen in harmonischem Einklang miteinander stehen, weshalb es erforderlich ist, rechtzeitig mit der Nachfolgeplanung zu beginnen.

Geld, Macht, Liebe

Die Herausforderungen in Unternehmerfamilien sind fast immer innerfamiliär begründet und drehen sich um Geld, Macht und Liebe. Laut einer aktuellen Studie der Leitbetriebe Austria sind die größten Risiken für Konflikte neben einem generellen Familienstreit vor allem die fehlende Klarheit in der Nachfolgeregelung und die unzureichende oder fehlende Kompetenz potenzieller Nachfolger. Um dem entgegenzuwirken, lohnt es sich, einen genaueren Blick auf das Regelungsinstrument der Familienverfassung zu werfen.

Was ist eine Familienverfassung?

Die Familienverfassung gehört international als bekanntes Regelungsinstrument zur Grundausstattung von Familienunternehmen und findet nun auch in Österreich immer mehr Verbreitung.

Unter einer Familienverfassung wird ein juristisch nicht bindendes Schriftstück einer Unternehmerfamilie verstanden, in dem diese ihre zentralen Werte und Ziele in Bezug auf das Unternehmen und die Familie festlegt. Die Familienverfassung und der partizipative Prozess zur Erarbeitung sind so individuell wie jede Unternehmerfamilie selbst. Dabei werden unter anderem die Rolle der Familie im Unternehmen, deren Rechte und Pflichten sowie Verhaltensregeln für den Umgang mit Familien- und Unternehmensangelegenheiten erfasst. Eine Familienverfassung vereint somit die Strategie der Familie und die des Unternehmens. In der Praxis werden entsprechende Dokumente auch als Familiencharta, -kodex, -statut, -leitbild etc. bezeichnet.

 

Verbreitung und Bedeutung der Familienverfassung in Österreich

Ein wichtiger Impuls für die Verbreitung von Familienverfassungen im deutschsprachigen Raum war die von Prof. Dr. Peter May initiierte Veröffentlichung des Governance Kodex für Familienunternehmen im Jahr 2004 zunächst in Deutschland, 2005 folgte eine Version für Österreich. Es gibt allerdings keine genauen Statistiken darüber, wie viele österreichische Familien eine Familienverfassung haben. Die Verbreitung von Familienverfassungen ist jedoch in den letzten Jahren weltweit gestiegen, da Familien zunehmend die Bedeutung einer klaren Struktur, Kommunikation und Nachfolgeplanung erkennen. Nach einer aktuellen Studie der Leitbetriebe Austria ist der Faktor Klarheit vor allem bei der jüngeren Generation das wichtigste Kriterium bei der Unternehmensweitergabe innerhalb der Familie. Allgemein sehen Familienunternehmerinnen und -unternehmer den Hauptnutzen einer Familienverfassung in einer gestärkten und geeinten Unternehmerfamilie, hinzu kommen auf dieser Ebene noch Themen wie Identifikation mit dem Unternehmen, Stärkung des innerfamiliären Zusammenhalts und die Konfliktprävention.

Der inhaberstrategische Prozess

Wer Familienunternehmen in ihrer Ganzheit erfassen will, muss die Familie und das Unternehmen in den Blick nehmen und versuchen, Familienstrategien und Unternehmensstrategien zu einer übergeordneten Inhaberstrategie zu verbinden. Diese muss nicht nur beide Bereiche gleichwertig betrachten, sondern auch deren wechselseitige Beeinflussung verstehen und in einen individuell richtigen Ausgleich bringen. Im Allgemeinen wird eine Familienstrategie und ihre Ausformulierung in einer Familienverfassung als wesentlicher Bestandteil der Family Business Governance gesehen, also der gleichwertigen Aufmerksamkeit auf die Handhabung von Familien- und von Unternehmensfragestellungen.

Familienverfassung im Einklang mit Gesellschafts- und Erbrecht

Die Familienverfassung hat als schriftliches Dokument einer Unternehmerfamilie keine rechtliche Bindung. Allerdings sind weder Gesellschaftsvertrag, Syndikatsvertrag, Stiftungsurkunde noch familien- und erbrechtliche Dokumente wie Testament, Erbvertrag oder Ehevertrag geeignet, die typischen Regelungen einer Familienverfassung festzuhalten. Daher bedarf es als zusätzliches Instrument der Family Business Governance einer Familienverfassung, die Leitbilder und übergeordnete Werte für die Führung und Kontrolle des Familienunternehmens festhält, sowie das Verhältnis der Familie und ihrer Mitglieder zum Unternehmen regelt. Weiters betreffen die in der Familienverfassung getroffenen Vereinbarungen nicht nur das Unternehmen, sondern reichen tief in die Angelegenheiten der Familie hinein. Zudem soll die Familienverfassung generationenübergreifend identitätsstiftend wirken und nicht wie beispielsweise erbrechtliche Verträge die Rechtsverhältnisse einzelner Personen regeln. Durch die Erarbeitung einer Familienverfassung kann somit eine Basis und Rahmengebung für die verschiedenen familien- und erbrechtlichen Dokumente sowie des Gesellschaftsvertrags geschaffen werden.

Der Nutzen einer Familienverfassung

Für die Familie steht also der emotionale Nutzen und die stabilisierende Wirkung im Vordergrund. Bereits der Prozess der gemeinsamen Erarbeitung stärkt erfahrungsgemäß den Zusammenhalt der Familie, fördert die Identifikation mit dem Unternehmen, dient der Konfliktprävention und trägt dazu bei, den Familienfrieden zu sichern. Lesbar und verständlich formuliert, kann eine Familienverfassung der Nachfolgegeneration als „Onboarding“ in das Familienunternehmen dienen und somit die Identifikation mit dem Unternehmen und das Zusammengehörigkeitsgefühl stärken. Die konfliktvorbeugende Komponente, die bereits erwähnt wurde, spielt eine wichtige Rolle bei der gemeinsamen Ausarbeitung und Erstellung einer Familienverfassung. Allerdings besteht gerade bei einer wachsenden Anzahl von Gesellschaftern und den oft unterschiedlichen Interessen und Bindungen zum Unternehmen ein besonderes Potenzial dafür. Daher bietet die aktive Auseinandersetzung mit der Nachfolge einen passenden Anlass, sich mit dem Thema Familienverfassung zu befassen.

Das Unternehmen erfährt ebenfalls Vorteile durch eine gestärkte und vereinte Unternehmerfamilie. Diese positive Auswirkung erstreckt sich sowohl intern auf das Management und die Mitarbeiter als auch extern z.B. auf Kunden, Lieferanten und Partner.

In einer Studie unter 530 spanischen Familienunternehmen (vgl. dazu näher Arteaga/Menéndez-Requejo, Family Constitution and Business Performance, in Family Business Review 2017, Vol. 30(4) 320-338.) wurde der Zusammenhang zwischen der Umsetzung einer Familienverfassung und der künftigen Leistung von Familienunternehmen untersucht. Die Analyse zeigt, dass Familienunternehmen, die eine Familienverfassung eingeführt haben, innerhalb von zwei Jahren nach der Einführung eine signifikante Leistungssteigerung aufweisen.

Auch für die strategische Planung der Nachfolge ist die gemeinsame Erarbeitung einer Familienverfassung von großem Wert. Ohne erfolgreiche Nachfolge gibt es kein erfolgreiches Familienunternehmen und keine erfolgreiche Unternehmerfamilie. So lässt sich feststellen, dass eine frühzeitige Beschäftigung mit dem Thema und eine offene Kommunikation unter Einbeziehung potenzieller Nachfolger entscheidend für eine erfolgreiche Unternehmensnachfolge sind. Die wechselseitige Offenlegung der unterschiedlichen Erwartungs- und Werthaltungen der Übergeber und Nachfolger sind erfolgskritisch dafür. Eine rechtzeitige Nachfolgeplanung schafft Spielraum, um die nächste Generation behutsam in das Thema einzuführen und gegebenenfalls Vermögensumschichtungen oder -umstrukturierungen vorzunehmen, die zur Abdeckung der Pflichtteilsansprüche beitragen können. Da der Übergeber in der Regel nur „einen Schuss“ hat, ist es ratsam, das Nachfolgekonzept sorgfältig zu planen und dabei auf das Fachwissen von Experten zurückzugreifen, um einen reibungslosen Übergang zu gewährleisten.

The time is now

In ihrer langjährigen Arbeit mit Unternehmerfamilien in der Nachfolge hat die PETER MAY Gruppe in hunderten Projekten mit den erfolgreichsten Unternehmerfamilien im DACH-Raum die Erfahrung gemacht, dass ein strukturierter Prozess hilft, die Angst vor rationaler und emotionaler Komplexität zu nehmen und das schwer Aussprechbare besprechbar zu machen. Dies gilt umso stärker, je mehr der Prozess einen Rahmen setzt, der unterstützend, aber nicht einengend wirkt und Raum für individuelle Lösungen lässt. „Komplexität reduzieren – Ängste nehmen – Strukturen schaffen – individuelle Lösungen ermöglichen“, mit diesem Anspruch hat Prof. Peter May das Konzept der Nachfolge-Strategie entwickelt, das nun auch in Österreich zunehmend erfolgreich zur Anwendung kommt.


Ihr Ansprechpartner PETER MAY Österreich

Elias Resinger

 

Elias Resinger ist Inhaberstrategieberater und Experte für Familienunternehmen. Als Partner der PETER MAY Gruppe begleitet er insbesondere in Österreich Inhaberfamilien in Nachfolge- und Konfliktsituationen und entwickelt mit ihnen Inhaberstrategien und Familienverfassungen. Sein besonderes Augenmerk liegt auf der frühzeitigen Heranführung der nächsten Generation und der Vorbereitung auf neue Rollen sowie der langfristigen Begleitung von Inhaberfamilien. Elias Resinger versteht es genau, unterschiedliche Standpunkte sichtbar zu machen und frühzeitig potenzielle Konfliktfelder behutsam zu identifizieren und durch seine Kommunikations- und Moderationsstärke mit viel Gespür gemeinsam zu lösen.

MEHR ÜBER ELIAS RESINGER

Kontakt: Mag. Elias Resinger, LL.M.
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