Die Kraft der Spielregeln - warum sie für eine gute Governance unverzichtbar sind

Wir arbeiten seit 20 Jahren mit Inhaberfamilien am Thema "Governance". Wir wissen: Gut orchestrierte Strukturen sind für den Erfolg unverzichtbar, aber ausreichend sind sie nicht! Damit klug konzipierte Governancesysteme in der Praxis funktionieren, müssen sie gelebt werden. Von Prof. Dr. Peter May

Die Kraft der Spielregeln

 

Vor kurzem stellte ich im Aufsichtsrat eines Familienunternehmens eine neue Governance vor. Solange es dabei um Fragen der Struktur (Kompetenzverteilung, Informations- und Berichtswesen, zustimmungspflichtige Geschäfte) ging, gab es allseits nur wissende Zustimmung. „Ja, so macht man das, wenn man professionell sein will,“ lautete der Tenor. Als ich zum Schluss zum Tagesordnungspunkt „Spielregeln für die Zusammenarbeit“ kann, änderte sich das. „Was ist das?“, „Braucht man das?“, lauteten nun die Fragen aus der Runde. Ich nehme dies zum Anlass, ein paar kurze Anmerkungen zu einem m.E. unverzichtbaren, aber offenbar noch wenig bekannten Instrument guter Governance in Familienunternehmen zu machen.

Die Notwendigkeit einer guten Governance als Element professioneller Führung von Familienunternehmen ist inzwischen allgemein anerkannt. Wer Ziele erreichen will, braucht nicht nur eine überzeugende Strategie und geeignetes Personal, sondern auch passende Strukturen, die das Zusammenwirken der einzelnen Elemente bestmöglich fördern. Auch die Zielsetzung einer guten Governance ist mittlerweile verstanden und der Weg dahin gut ausdifferenziert. Governance-Profis wissen, wie man von einer klaren Aufgabenbeschreibung über eindeutige Kompetenzzuweisungen, dazu passende Berichts- und Informationspflichten sowie eine der Aufgabenstellung entsprechende Gremienzusammensetzung und Arbeitsorganisation zu einer guten Governance-Struktur kommt. Doch ist damit nur der erste Teil der Arbeit erledigt. Gut orchestrierte Strukturen sind für den Erfolg unverzichtbar, ausreichend sind sie nicht.

Schaut man sich dysfunktionale Governancesysteme näher an, stellt man fest, dass die Strukturen zwar oft gut gedacht sind, von den Beteiligten aber nicht gelebt werden. Eine nicht gelebte Governance ist wertlos. Denn die Wahrheit ist nicht auf dem Papier, sie ist immer auf dem Platz. Nicht nur im Fußball, auch im Unternehmen.

Beim „Leben“ geht’s nicht um Strategie und auch nicht um Struktur, beim Leben geht’s um Kultur. Wir alle kennen den Satz: „Culture eats Strategy for Breakfast.“ Er gilt für die Struktur ebenso. Nur wenn Strategie und Struktur mit der Kultur übereinstimmen, wird ein Erfolg daraus. Und genau an dieser Stelle kommen die „Spielregeln für die Zusammenarbeit“ ins Spiel. Sie verbinden Struktur und Kultur, indem sie die „Spieler“ dazu bringen, miteinander zu vereinbaren, wie sie die Governancestrukturen mit ihren Zuständigkeiten, Informationspflichten und Mitwirkungsrechten in der täglichen Praxis mit Leben füllen wollen.

Der Weg dahin ist einfacher als man denkt. Ich habe ihn vor mehr als dreißig Jahren gemeinsam mit meinem Vater erstmals ausprobiert und seitdem immer wieder mit Erfolg angewendet. Damals war ich gerade frisch ins elterliche Unternehmen eingetreten und es war klar, dass die Zusammenarbeit zwischen Vater und Sohn alles andere als einfach werden würde (auch wenn die Governancestrukturen klar waren). Deshalb haben wir uns vor Beginn unserer Zusammenarbeit an einen Tisch gesetzt, unsere wechselseitigen Befürchtungen miteinander geteilt („Ich habe Angst, dass Du mich vor Dritten kritisierst“, oder „Ich habe Angst, dass ich immer erst als letzter erfahre, was in unserem Unternehmen eigentlich los ist“), diese anschließend in Wünsche umformuliert und nach Akzeptanz durch den jeweils anderen als gemeinsame Spielregeln niedergeschrieben. So entstanden sinnvolle Regeln für die Zusammenarbeit wie: „Ich werde Dich nicht vor Dritten kritisieren“, oder „Wir treffen uns jeden Freitagnachmittag um 5 zum Feierabendtalk, um wichtige Informationen austauschen“, und viele andere mehr.

Der Prozess der Spielregeln hat unserer Zusammenarbeit gutgetan. Er hat unsere wechselseitige Achtsamkeit erhöht, bei Zuwiderhandlungen einen emotionsarmen Auflösungsmechanismus kreiert und eine Kultur des Miteinander geschaffen. So war es bei meinem Vater und mir, so war und ist es auch in vielen anderen Fällen. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen viel Erfolg und Freude bei dem Versuch, ihre eigenen Spielregeln zu schaffen.

 

Prof. Dr. Peter May ist Gründer von PETER MAY The Family Business People und Honorarprofessor and der WHU – Otto Beisheim School of Management