Generationswechsel in Familienunternehmen: Ein Kompatibilitätstest

Bei der Auswahl einer Nachfolgerin oder eines Nachfolgers für die Führung des Familienunternehmens spielen emotionale Faktoren eine ebenso große Rolle wie fachliche. Mit Raoul Nacke, Consultant bei der Personalberatung Eric Salmon & Partners, spricht Dr. Matthias Händle über die Herausforderungen des Generationswechsels.

Generationswechsel

 

Dr. Matthias Händle: Lieber Herr Nacke, Sie besetzen seit 25 Jahren Führungspositionen in Familienunternehmen und Publikumsgesellschaften. Wir bei PETER MAY beschäftigen uns im Rahmen der Inhaberstrategie immer auch mit der Frage, wie das Familienunternehmen geführt werden soll und wie kontrolliert, welchen Einfluss die Familie haben soll und in welchen Gremien. In der Frage der Nachfolge fällt es den Beteiligten oft sehr schwer, sich ein objektives Bild der einzelnen Persönlichkeiten zu machen. Ist die Tochter, der Sohn oder das Schwiegerkind, vielleicht auch der Neffe oder die Nichte geeignet für die Nachfolge? Wie kommt man bei der Beurteilung der Nachfolge-Qualität zu einer guten Entscheidung?

Raoul Nacke: Die Frage, ob ein Unternehmer seine Nachfolge familienintern besetzen sollte, ist so alt wie das Unternehmertum selbst. Letzten Endes ist es eine Entscheidung, die, im Sinne aller Beteiligten, sorgfältig geprüft und vorbereitet werden sollte.

Die interne Nachfolge wird vom Prinzipal häufig präferiert. Falls mehrere familieninterne Kandidaten zur Verfügung stehen, sollte eine neutrale Standortbestimmung durch einen Experten durchgeführt werden. Dieser sollte die Kandidaten in intensiven Gesprächen kennenlernen und, unabhängig von der emotionalen Rangfolge des Prinzipals, auf Eignung für die anstehende Aufgabe überprüfen.

Die Rolle des Experten ist an dieser Stelle ausgesprochen zentral, um Selektionskriterien zu definieren, die der Aufgabe angemessen sind und nicht etwa versuchen die Stärken des Prinzipals zu kopieren. Es gilt, ein Profil zu erstellen, das der heutigen Zeit entspricht, um einen familieninternen Kandidaten derselben Prüfzeremonie zu unterziehen, die man im Falle eines externen Kandidaten anwenden würde.

Neben der Eignung ist die Motivation der internen Kandidaten zu überprüfen. Es sollte vermieden werden, eine Nachfolge aus reinem Pflichtbewusstsein zu übernehmen.    


Wollen aus Ihrer Sicht den viele Next Gens ins Unternehmen? Wir kennen viele Next Gens, die sich zwar mit dem Unternehmen identifizieren können, aber entweder großen Respekt vor der Aufgabe haben oder unsicher sind, ob sie der Aufgabe und dem damit verbundenen Druck und der Verantwortung gewachsen sind.

Viele der Next Gens haben die unternehmerische Verantwortung des Prinzipals über viele Jahre aus der Nähe verfolgt. Oft überwiegt der Respekt vor der Verantwortung oder die Motivation, einen anderen Lebensweg zu verfolgen. Das vielzitierte Thema Work-Life Balance spielt hier eine zentrale Rolle.

Es gibt jedoch auch ausgesprochen talentierte, unternehmerisch denkende interne Nachfolger, die absolut geeignet und motiviert sind, das Unternehmen in nächster Generation zu führen.    


Wie kommen die beiden Seiten dann zusammen?

Zunächst einmal ist es erforderlich, dass man sich Zeit nimmt, den anderen sowie dessen Motivation zu verstehen. Es ist von entscheidender Bedeutung, dass Prinzipal und Nachfolger den Schritt in völliger Überzeugung umsetzen; man muss sich „grün“ sein, um miteinander erfolgreich arbeiten zu können. 

Beispiel: Ist der Prinzipal daran interessiert, die Geschicke des Unternehmens auf seine, und nur auf seine, Art fortführen zu lassen, sollte dies dem Nachfolger bekannt sein. Schwebt dem Nachfolger vor, unternehmerisch völlig andere Wege zu beschreiten, sollte der Prinzipal davon im Vorfeld Kenntnis haben.    

Es ist zudem eine Vereinbarung erforderlich, die die Regeln der Zusammenarbeit sowie eine faire Bezahlung klar definiert. Insbesondere in Richtung der Freiheitsgrade, die dem Nachfolger, jedoch auch dem Prinzipal, zur Verfügung stehen. Zentral ist die Governance von Entscheidungsprozessen zwischen Nachfolger, Prinzipal und Aufsichtsrat/Beirat, aber auch Themen wie externe Kommunikation sowie der Umgang mit den vielgenannten „alten Senatoren“, den langjährigen Wegbegleitern des Prinzipals.


Lieber Herr Nacke, da kann ich Ihnen nur Recht geben, die Aufgaben in der Nachfolge sind vielschichtig und sie auf die Qualifikationen eines Finanzers oder Ingenieurs zu reduzieren, reicht eindeutig nicht aus. Viele Nachfolger fühlen sich, als befänden sie sich auf einem Minenfeld zwischen alten Strukturen, unbekannten Netzwerken und nicht zuletzt auch menschlichen Herausforderungen. Worin sehen Sie die größten Herausforderungen für den Senior und den Nachfolger?

Der Unternehmer muss zur Kenntnis nehmen, dass er die Leitung des Unternehmens delegieren und nicht nur überbrücken sollte, und dass ein Nachfolger nicht akzeptiert, sein Gesicht in der Öffentlichkeit zu verlieren. Darüber hinaus dass diesem eine Erfolgsprämie in angemessener Größenordnung zu zahlen oder Anteile am Unternehmen zu übertragen sind. Der Unternehmer muss sich selbst zwingen, dem Nachfolger zu vertrauen, ohne diese Person als sein Eigentum zu betrachten.

Gleichzeitig muss der Nachfolger selbst beginnen, unternehmerisch zu denken und begreifen, dass seine Entwicklung in direktem Zusammenhang mit der Wertschöpfung des Unternehmens steht. Dieser Zielsetzung kann man leicht zustimmen. Komplizierter wird es im Bereich der Vorgehensweise und des Zeitrahmens, da die Zukunftssicherung des Unternehmens mit langfristig kaum definierbaren Zielen und Perspektiven für den Eigentümer wesentlich ist. Dies ist zwar kompliziert, aber machbar, wenn es dem Nachfolger gelingt, sich auf den Unternehmer einzulassen, indem er versucht, gemeinsam mit dem Unternehmer wesentliche Weichenstellungen vorzubereiten und umzusetzen.


Wo sehen Sie die Gründe für das Scheitern der Übergabe?

Es gibt unzählige Gründe für ein Scheitern der Nachfolge. Beim Unternehmer mögen diverse Sorgen überwiegen: die Sorge, dass die vom Nachfolger und dessen Gefolgsleuten eingeführten Änderungen dazu führen könnten, dass der Unternehmer nach und nach den Kontakt zum Unternehmen verliert; die Sorge, dass der Unternehmer durch den zunehmenden Bekanntheitsgrad des Nachfolgers in den Schatten gestellt werden könnte; die Sorge, dass strategische Entscheidungen getroffen werden, um kurzfristige Ergebnisse zu erzielen.

Die Gründe, weshalb ein Nachfolger sich von einem Unternehmer trennt, sind ebenso vielseitig. Der naheliegendste Grund: die Einmischung des Prinzipals in das operative Tagesgeschäft, die dem Nachfolger vor Augen führt, dass er der Aufgabe nicht den eigenen Stempel aufdrücken kann, ohne sich permanent emotional geführten Debatten zu stellen.


Sehen Sie in Bezug auf das Scheitern Unterschiede, ob es sich um einen Nachfolger aus dem Familienumfeld handelt oder um einen Fremdmanager?

Auf familieninternen Kandidaten lastet ein zusätzlicher emotionaler Druck, dem Vermächtnis des Prinzipals gerecht zu werden. Hier sieht man gelegentlich „erzwungene“ Nachfolge-situationen, die in der Regel nicht von Erfolg gekrönt sind. Dies ist für familieninterne Kandidaten einer der häufigsten Gründe des Scheiterns. 


Welche Voraussetzungen müssen geschaffen werden, damit eine Übergabe funktioniert?

Eine grundlegende Voraussetzung besteht darin, dass der Unternehmer sich ganz auf die Funktion konzentriert, die er nicht delegieren kann, nämlich die des Anteilseigners. Sein Engagement ist gefragt: Weitergeben der Kenntnisse über Märkte und Kunden, Beurteilung von Investitionen, Sicherstellen der finanziellen Nachhaltigkeit, Zusammenstellung des Aufsichtsrates und nicht zuletzt, Auswahl des Nachfolgers.

Der Nachfolger muss nicht zwangsweise aus der Branche stammen, aber er muss gewinnorientiert sein, Fähigkeiten besitzen in den Bereichen strategische Visionen, Entscheidungsfindung und Führung sowie einen ausgewogenen Ansatz zur Beurteilung von Menschen haben. Er muss die Fähigkeit besitzen, hochkarätige Führungskräfte anzuziehen sowie auszuwählen, vor allem jedoch eine natürliche Prädisposition zur Teamarbeit. Auf sich selbst konzentrierte „Solisten“, unabhängig davon, wie gut sie sind, sollten gemieden werden.

Sobald das neue System auf die Probe gestellt und gegenseitiges Vertrauen geschaffen wurde, ist es an der Zeit, dem Nachfolger eine Unternehmensbeteiligung zu übertragen, und zwar durch Anreizsysteme, die eine mittel-/langfristige Wertschöpfung belohnen. Zur Vervollständigung des Bildes: Schaffung eines schlanken Aufsichtsrates auch mit familienexternen Mitgliedern, die den Eigentümer dabei unterstützen, den Nachfolger zu beaufsichtigen und anzuregen und Letzteren unterstützen, die wichtigsten Entscheidungen zu treffen.


Zu oft hört man Geschichten über erfolgreiche Unternehmer, die nicht loslassen können. Ist ein Vollblut-Unternehmer überhaupt in der Lage zu entscheiden, wann er das Feld besser den Jüngeren überlässt?

Die wenigsten erfolgreichen Unternehmer sind in der Lage zu entscheiden, wann der richtige Moment der Übergabe gekommen ist. Absolut menschlich; sich mit der eigenen Vergänglichkeit zu beschäftigen ist nicht jedermanns Sache. Es scheitert häufig jedoch nicht an der fehlenden Erkenntnis, das Feld übergeben zu müssen, sondern vielmehr an den fehlenden Optionen möglicher Nachfolger.

Ein Gremium, auch bestehend aus familienexternen Vertretern, sollte die Eigentümer dabei unterstützen, den Nachfolgeprozess zur richtigen Zeit und mit der entsprechenden Konsequenz und Objektivität einzuleiten.  


Es ist ja auch für den Nachfolger eine große Veränderung, plötzlich eine Führungsrolle zu übernehmen.

Auch der Nachfolger verlässt seine Komfortzone, um in die unternehmerische Welt einzutauchen. Er muss dies mit Flexibilität und mentaler Offenheit tun, jedoch auch mit dem Selbstvertrauen, einen eigenen Weg zu beschreiten. Und daher muss er versuchen, Kultur, Kommunikationsstil und Werte fortzuführen, ohne sich als Klon des Prinzipals zu positionieren. Nur dann kann er mit Leidenschaft ins kalte Wasser springen.


Halten Sie es für sinnvoll einen Plan für das Onboarding zu erarbeiten? Und ist es auch notwendig, vor dem Einstieg über mögliche Gründe und Regeln für einen Ausstieg zu definieren, falls das Projekt Generationswechsel nicht gelingt?

Onboarding bedeutet für mich, sich strukturiert mit den Themen zu beschäftigen, über die man im Rahmen der Übergabe sprechen sollte. Dies kann ein Einarbeitungsplan sein oder auch regelmäßige Gespräche zwischen Prinzipal und Nachfolger. Entscheidend ist, dass ein intensiver Austausch stattfindet, und man miteinander statt übereinander spricht.

Ein Offboarding macht Sinn, um im Fall der Fälle den Umgang miteinander zu regeln. Insbesondere, wenn es sich um familieninterne Nachfolger handelt, um deren zukünftige Position in der Familie nicht zu schwächen. Über die Gründe des Scheiterns sollte man aus meiner Sicht immer sprechen.