Fünf Schlüsselfragen für alle, die ans Loslassen denken

Auf dem SYMPOWNIUM 2024 in Hamburg habe ich ein paar persönliche Anmerkungen zum Thema Nachfolge und Loslassen gemacht. Seither haben mich viele – nicht selten jüngere - Unternehmer und Unternehmerinnen gedrängt, diese Gedanken zu teilen. Das tue ich gerne. Von Prof. Dr. Peter May

Peter May

 

Zu Beginn des Jahres bin ich 66 Jahre alt geworden. Meine Partner und ich haben dies zum Anlass genommen, den nächsten großen Schritt in unserem Nachfolgeprozess zu vollziehen. Vier Jahre früher als ursprünglich geplant habe ich meine Anteile an der gemeinsamen Gesellschaft an meine Kollegen übertragen. Seit Jahresbeginn 2024 bin ich nicht mehr Gesellschafter. Ich bin zwar noch dabei, aber nicht mehr in der Verantwortung. Die Entscheidungen und ihre Folgen treffen nun andere.

Was sich so selbstverständlich und leicht liest, ist im wirklichen Leben alles andere als das. Die größte Hürde im Nachfolgeprozess sind nicht Verträge und wirtschaftliche Konditionen. Es sind auch nicht die anderen. Die größte Hürde liegt in uns selbst und nur wir selbst können sie überwinden. Es ist die Frage, die sich jedem stellt, der ans Aufhören denkt. Sie ist klar und unbarmherzig und lautet: Bin ich bereit, loszulassen und das aufzugeben, was mit meiner bisherigen Stellung verbunden war? Wer diese Frage nicht mit Herz und Verstand mit „ja“ beantworten kann, wird weitermachen und so früher oder später zum Hindernis für seine Nachfolge werden. Die Geschichte ist voll von unrühmlichen Beispielen – nicht nur in der Welt der Familienunternehmen.

Auch ich bin an dieses Hindernis gekommen und habe mich intensiv prüfen müssen. Viele haben mir das rechtzeitige Loslassen nicht zugetraut. Heute bin ich froh (und auch ein bisschen stolz), sie eines Besseren belehrt zu haben. Und – noch wichtiger: Meine Partner sind es auch. Ich will hier keinen klugen Beraterbeitrag über die „Kunst des Loslassens“ schreiben. Ich möchte nur die fünf Fragen teilen, die ich mir bei meiner Entscheidung gestellt habe. Vielleicht können sie ja auch dem ein oder anderen eine Hilfestellung im Entscheidungsprozess sein.

Die erste Frage, die mir in den Sinn kam, war finanzieller Natur: Werde ich meinen lieb gewonnen Lebensstil nach dem Ausscheiden aus dem Amt aufrechterhalten können? Die meisten von uns tun sich schwer damit, am Ende einer langen und erfolgreichen Karriere Einbußen am gewohnten Lebenszuschnitt in Kauf zu nehmen. Vor allem dann, wenn es einen Ausweg gibt, der genau das vermeidet: einfach weitermachen!

Und doch ist die erste Frage für erfolgreiche Unternehmer in der Regel die leichteste. Wer erfolgreich und klug gewirtschaftet hat, hat auch ein hinreichend großes Vermögenspolster für den letzten, „arbeits-losen“ Lebensabschnitt gebildet.

Da hat es die zweite Frage schon mehr in sich: Was mache ich mit der freiwerdenden Zeit? Werde ich nach dem Ausscheiden aus dem Amt noch ein Leben führen können, das mir Freude macht und mich erfüllt? Die meisten Unternehmer lieben ihren Beruf. Er gibt ihnen Sinn und Erfüllung. Beruf und Berufung verschmelzen nicht selten in eins. Ein Leben ohne Sinn und Erfüllung ist keine attraktive Alternative.

Deshalb ist es so wichtig, dass wir uns frühzeitig nach einer alternativen Sinngestaltung in unserem Leben umsehen. Dem unternehmerischen Sinn einen weiteren hinzufügen, der zunächst daneben und später dann an dessen Stelle treten kann. Und dass wir mit dem Umstieg nicht allzu lange warten. Wer sich mit 66 für ein neues Leben entscheidet, dem verbleiben in der Regel noch mehr als zehn „gute Sommer“, mit 76 sieht das anders aus.

Womit wir bei der dritten Frage wären: Traue ich meinen Nachfolgern zu, dass sie mein Lebenswerk erfolgreich fortführen? Oder sind im Schatten einer starken Eiche nur Pilze herangewachsen? Niemand möchte dem Niedergang des eigenen Lebenswerks beiwohnen. Und wer sagt: „Es ist noch zu früh für euch“, meint in Wahrheit nicht selten: „Ich traue es euch nicht zu,“ – heute nicht und morgen auch nicht. Denkbar schlechte Voraussetzungen, um loslassen zu können.

Ich gebe gerne zu, dass mir die Antwort auf die ersten drei Fragen nicht allzu schwergefallen ist. Jetzt aber wurde es schwieriger. Denn mit der vierten Frage war erstmals der sensible Bereich des eigenen Egos berührt: Werde ich es aushalten, wenn meine Nachfolger es anders machen, und schlimmer noch, wenn sie es sogar besser machen? Der Umgang mit der Vorstellung, dass der eigene Stern in nicht allzu ferner Zukunft von einem helleren Stern überstrahlt werden könnte, ist für viele Erfolgsmenschen eine Herausforderung. Sie hat schon viele erfolgreiche Nachfolgen verhindert. Mir ist noch gut ein Beispiel in Erinnerung, wo die fähigen Söhne eines Unternehmers dessen Unternehmen zunächst verlassen und dann mit einem Konkurrenzunternehmen in den Ruin getrieben hatten. So wollte ich nicht enden.

Auch meine fünfte und letzte Frage berührt den sensiblen Bereich des Egos: Wie werde ich mit dem gesellschaftlichen Bedeutungsverlust umgehen, der mit dem Verlust von Amt und Würden quasi automatisch einhergeht? Es ist eine Erkenntnis, vor der wir uns nur zu gerne drücken: Gesellschaftliche Anerkennung und Bedeutung ist weniger der Person als dem Amt geschuldet. Legionen von Politikern, Sportlern, Unternehmern und anderen Erfolgsmenschen haben die bittere Erfahrung machen müssen, was es bedeutet, wenn man sein hohes Amt verliert. Die Lobpreisungen werden weniger, Einladungen auch, am Tisch ganz vorne sitzen auf einmal andere (nicht selten der eigene Nachfolger), Stück für Stück versinkt man in der gesellschaftlichen Bedeutungslosigkeit. Das Gesetz des „Der König ist tot, es lebe der König“, ist hart. Nur wem die eigene Bedeutung nicht (mehr) wichtig ist, ist vor Schmerz gefeit. Und tut sich mit dem Loslassen leicht(er).

Am Ende meiner Reise durch die fünf Fragen hatte ich mehr über die Kunst des Loslassens und noch mehr über mich selbst gelernt. Vor allem aber war ich fähig, eine Entscheidung zu treffen. Denn: Wer fünf Mal mit Herz und Verstand „ja“ sagen kann, der kann auch loslassen. Und damit den Weg freimachen für eine gelingende Nachfolge und ein gelingendes Leben im letzten großen Lebensabschnitt. Oder, um es (leicht abgewandelt) mit Udo Jürgens zu sagen: „Mit 66 Jahren, da fängt das neue Leben an.“

 

Prof. Dr. Peter May ist Gründer von PETER MAY The Family Business People und Honorarprofessor an der WHU – Otto Beisheim School of Management