Plädoyer für mehr Gesellschaftsbeitrag von Familienunternehmen

Gemeinsam mit dem Markenexperten Jon Christoph Berndt möchte unser Partner Dr. Dominik von Au mit seiner neuesten Veröffentlichung eine Debatte anstoßen über den Mehrwert, den Familienunternehmen stiften können. Im Interview erzählen die beiden Autoren, warum der „Gesellschaftsbeitrag“ so wichtig ist.

Autoren Gesellschaftsbeitrag

 

Lieber Dominik, lieber Jon, in Eurem Buch fordert Ihr, dass Unternehmen einen „Gesellschaftsbeitrag“ zu leisten haben, denn nur dann wären sie langfristig erfolgreich. Könnt Ihr uns diesen „Gesellschaftsbeitrag“ etwas genauer beschreiben?

Jon Christoph Berndt: Es geht dabei darum, das Gebende in den Vordergrund zu stellen. In Zukunft wird es nicht mehr ausreichen, sich am Standort zu engagieren bei den lokalen Sport-vereinen oder karitativen Einrichtungen, und abseits dessen doch recht klassisch nur nach Umsatz und Gewinn zu streben. Solche sozialen Aktivitäten sind aller Ehren wert, jedoch tritt jetzt das Sinnstiftende in den Vordergrund: Heute geht es darum, den Beitrag dazu, dass es den Menschen lokal genauso wie regional und auch international besser geht, zuerst genau zu definieren und ihn dann auch zu leisten. Eben den Gesellschaftsbeitrag. So haben wir diesen Begriff für den spürbaren Mehrwert führender Unternehmen definiert. Genauso kann man auch „das Wofür“ dazu sagen. Das gebende Wofür löst das egoistische „Warum“ ab – das „Why“, das lange in aller Munde war. Der Haken daran war, dass das „Warum“ immer selbst-zentriert, egogetrieben und eben nicht in erster Linie gebend definiert war.

 

Unternehmer und Geschäftsführer werden Euch entgegnen, dass sie nicht der Gesellschaft verpflichtet sind, sondern in erster Linie ihren Aktionären und Gesellschaftern. Was antwortet Ihr?

Dominik von Au: Es geht darum, das eine verstärkt zu tun und dabei das andere nicht zu vernachlässigen. Wir teilen die Meinung der Familienunternehmer:innen, mit denen wir für das Buch sehr intensiv diskutiert haben: Monetärer Profit muss natürlich sein, ohne den ist alles Unternehmertum nichts. Allerdings: Planet, People und Profit schließen sich alles andere als gegenseitig aus. Im Gegenteil: In Zukunft, werden nur noch diejenigen in jeder Hinsicht „guten Profit“ machen, die auch bei Ökologie, Sozialem und Governance gewinnorientiert vorgehen und damit die zweite, zunehmend wichtige Dimension von „Profit“ bedienen: den emotionalen Gewinn, dass erstens besonders motivierte Mitarbeitende gezielt zu diesem einen Unternehmen kommen und dass Kunden genau hier bestellen, weil es vielleicht nicht der billigste Anbieter, aber bestimmt der preiswerteste ist: Er ist seinen Preis wert. Drittens ist auch ein Gewinn, dass die Menschen außenherum ein gutes Gefühl, eine gute Meinung vom Wirken dieses Unternehmens haben. Auch das befriedigt diejenigen, die in der Verantwortung stehen, ungemein. Sie schaffen es dann, neben dem natürlichen Gewinnstreben sehr vielen gesellschaftlichen Anspruchsgruppen gezielt zu dienen. Auch indem sie vieles von dem, was sie für den bloßen monetären Profit tun könnten, ganz bewusst nicht oder nicht mehr tun. Hier hat das klar definierte Wofür eine Gatekeeper-Funktion: nicht alles machen, was machbar ist, sondern nur das, was in seinem Sinne auch sinnvoll ist.

 

Gesellschaftsbeitrag

 

Jon, Du bist als Markenberater täglich mit Unternehmen in Kontakt. Hast Du ein Beispiel für einen besonders gelungen Markenauftritt im Zusammenspiel mit dem von Dir geforderten „Gesellschaftsbeitrag“?

Jon Christoph Berndt: Ja, es gibt etliche Unternehmen, die ihn schon lange leisten, ohne es bisher so zu nennen. Da ist der amerikanische Outdoor-Ausrüster Patagonia, der seit Jahren fordert, dass seine Kunden weniger seiner Produkte kaufen. Herstellung und Transport von Wanderjacken, -hosen und -rucksäcken verbraucht Ressourcen, und das geht zulasten der Natur – also genau der Umgebung, die man mit seiner Patagonia-Ausrüstung ja intakt erleben will. Deshalb sagt der Hersteller, dass man nur was Neues kaufen soll, wenn man auch wirklich was braucht. Und sie forcieren das Reparieren und Upcyceln. Das schafft enorm viel gute Aufmerksamkeit. Oder der Münchner Eis- und Pizzahersteller Gustavo Gusto. Die sind ebenfalls Gesellschaftsbeitrags-Vorreiter. Zu Pandemiezeiten haben sie überall in Deutschland plakatiert, dass man lieber den notleidenden Italiener um die Ecke unterstützen soll und nicht die eigene Pizza aus der Tiefkühltruhe kaufen soll. Solche Storys sind einfach extrem stimmig und beispielgebend, auch im Buch.

 

Habt Ihr auch Beispiele, für Unternehmen, die Eurer Überzeugung nach, einen falschen Weg eingeschlagen haben?

Dominik von Au: Auch da gibt es einige. Jeder von uns kennt ja Firmen, die seiner Meinung nach Greenwashing betreiben anstatt glaubwürdig ökologisch nachhaltig zu handeln. Genauso gibt es „Social Washing“ von Unternehmen, die die Mitarbeitenden und deren Förderung – von agilen Arbeitsmethoden über Diversität bis Gleichberechtigung – proklamieren, und dann beschränkt sich das alles im in der Praxis doch eher auf den vielzitierten Obstkorb, den Tischkicker und zwei Tage Homeoffice-Erlaubnis im Monat. Darüber hinaus gibt es auch „Governance Washing“, wenn Inhaber:innen und Geschäftsführer:innen sich zwar dem konsequent werte-getriebenen ethisch-moralischen Handeln verschreiben, es damit im harten Geschäftsalltag dann aber doch nicht immer so genau nehmen. Das Gute heutzutage in den Zeiten kritischer Transparenz: Es kommt immer raus.

 

Im deutschen Mittelstand werden in zahlreichen Familienunternehmen traditionelle Werte in allen Facetten gelebt – ökologisch, sozial und verantwortlich. Oder hast Du andere Erfahrungen, Dominik? Du begleitest ja mit Deiner Arbeit viele Familienunternehmen.

Dominik von Au: Bei den Werten müssen wir unterscheiden zwischen denen, die immer Bestand haben werden, und denen, die aus der Zeit gefallen sind. Das bricht zusehends auf. Die Unter-nehmen stellen sich immer mehr den Anforderungen an ihr zeitgemäßes Denken und vor allem Handeln. Maßgeblicher Treiber dabei ist die NextGen – oder vielmehr die NowGen. Es sind die Nachfolger:innen sowie die jungen Geschäftsführer:innen, die inzwischen in immer mehr Unternehmen am Ruder sind. Sie sind ganz anders sozialisiert und erfahren, verstehen „Führung“, „Werte“ und „gesellschaftliche Verantwortung“ ganz anders als die Eltern- und die Großelterngeneration. Sie handeln kollaborativ und nicht mehr Why- sondern eben Wofür-getrieben; und sorgen auch dafür, dass die sogenannten „Hidden Champions“ endlich raus ans Licht kommen. Da gehören sie, oftmals als Weltmarktführer auf ihrem Gebiet, auch hin. Es dauert nicht mehr lange, und das klassische Patriarchat mit Alleinregieren von oben nach unten und einsamen Entscheidungen gehört endgültig der Vergangenheit an. Und glücklicherweise sind unter den Nachfolgern auch immer mehr Frauen, wobei hier noch viel zu tun ist.

 

Was empfehlt Ihr Unternehmen als wichtigsten Schritt, die dauerhaft und nachhaltig erfolgreich bleiben möchten? Ein höher, schneller, weiter ist in Anbetracht der aktuellen wirtschaftlichen, politischen und ökologischen Situation sicherlich nicht der richtige Weg.

Jon Christoph Berndt: Es geht darum, seine Bestimmung neu zu finden. Aus dem Umstand, dass es ein Unternehmen schon hundert Jahre und x Generationen gibt, leitet sich allein kein Existenzanspruch mehr ab. Wichtig sind jetzt die schlüssigen Antworten auf die zentralen Fragen: Wofür tun wir, was wir tun? Welchen konstruktiven Beitrag zu einer besseren Gesellschaft leisten wir damit und, genauso wichtig, was tun wir dafür alles ganz bewusst nicht? Was würde der Welt ganz konkret fehlen, wenn es uns nicht mehr gäbe? Dominiks Kerndisziplin der Erarbeitung einer Inhaberstrategie ist hier einerseits so wesentlich, mit den Dimensionen Inhaberschaft und Selbstverständnis, Geschäftsmodell und Führung sowie Kontrolle und außerdem der Family Governance und der klaren Rollenverteilung innerhalb der Familie. Andererseits ist meine Schwerpunktdisziplin Markenbildung erfolgsentscheidend. Dazu gehören vor allem die Markenwerte sowie die Vision und Mission, Positionierung und Leistungsversprechen sowie das Leitbild und die kreative Leitidee. Gerade in der Kombination unseres beraterischen Tuns entsteht die kritische Masse für den langfristig tragfähigen Gesellschaftsbeitrag. Und, im Rahmen des konsequenten Lebens und Erlebbarmachens durch alle Beteiligten, für die Meinung der Menschen, dass es gerade dieses eine Traditionsunternehmen auch in Zukunft geben muss.

 

Es gibt diverse Bücher über Unternehmensstrategien. Was ist neu in Eurem Buch?

Jon Christoph Berndt: Neu ist, dass mit „Gesellschaftsbeitrag“ ganz klar „die anderen“, die Menschen da draußen, zuerst kommen. Da sind wir radikal, weil wir der festen Überzeugung sind, dass es nur so herum in Zukunft noch funktionieren wird: Erst geben, dann bekommen. Wer als Inhaberin oder Geschäftsführer weiterhin nur ein Warum hat, bei dem sie selbst und das Unter-nehmen an erster Stelle stehen, wird über kurz oder lang verlieren. „Die anderen“ sind alle Anspruchsgruppen außerhalb, von der lokalen Bevölkerung bis hin zu den Arbeitern irgendwo auf der Welt ganz am Anfang der Lieferkette. Hier gilt es, umzudenken und ganz plakativ und spürbar viel leisten, neben der Ökologie gerade auch auf den Gebieten soziales Miteinander und Governance. Und, ja, auch wir sagen, dass der Profit weiterhin stimmen muss. Das wird jedoch so sein nicht trotz des Wandels im Sinne des bestmöglichen Gesellschafsbeitrags, sondern gerade deswegen. Die für das Buch besuchten Unternehmer:innen teilen diese Haltung durchweg.

 

Welchen Nutzen haben Eure Leserinnen und Leser?

Dominik von Au: Die Leserinnen und Leser erhalten eine neue Perspektive darauf, was zeitgemäßes unternehmerisches Wirtschaften heutzutage wirklich auszeichnet. Hier wollen wir so anregend wie aufregend sein und durchaus auch aufrütteln. Und ihnen die Möglichkeit geben, ihr unternehmerisches Handeln hinsichtlich des Gesellschaftsbeitrags aktiv zu überprüfen. Dafür haben wir zum einen die Facetten des gewichtigen Gesellschaftsbeitrags genau definiert und praxisgerecht beschrieben. Und zum anderen sehr intensiv mit Familienunternehmer:innen gesprochen, die auch beim spür- und erlebbaren Wofür beispielhaft vorne sind. Und wir sagen, dass unser Buch strandgeeignet, also bei aller Tragweite leichtfüßig zu lesen ist. Unterm Strich darf sich die Leserschaft versprechen, dass ihr Unternehmen mit seinem starken Gesellschaftsbeitrag das bekommt, was alle brauchen und längst nicht alle haben: von den Menschen um sie herum als solche empfundene Relevanz. Es sind vor allem die zukünftigen Mit-arbeitenden und Kunden, die immer höhere Ansprüche an die Unternehmen haben, wo sie arbeiten, kaufen und ordern. Und die gehen heute eben weit über den reinen Preis hinaus.

 

 

Mehr Eindrücke aus dem Debattenbuch „Gesellschaftsbeitrag“ von Dr. Domink von Au und Jon Christoph Berndt finden Sie hier. Das Buch erhalten Sie beim Buchladen Ihres Vertrauens oder online, zum Beispiel bei Thalia oder Amazon. Die digitale Version ist erhältlich als eBook oder PDF-Datei.